Bei den Verhandlungen zur Endlagersuche demonstrierte die Anti-Atom-Bewegung am 9. April gegen den absehbaren Parteienkompromiss zwischen Union, SPD und Grünen. (Fotos: Frank Eßers / Direktlink zum Fotoalbum)
Mit dem Kompromiss zur Endlagersuche haben sich Union, SPD und Grüne auf ein dubioses Verfahren geeinigt. Anti-Atom-Proteste sind deshalb so nötig wie in der Vergangenheit, meint Pickelhering
Es gibt Sätze, die mit der Realität nichts zu tun haben. Aber sie schreiben sich so schön, dass Journalisten bürgerlicher Medien kaum widerstehen können. Dass der Bund-Länder-Parteien-Kompromiss zur Suche nach einem atomaren Endlager eine »historische Einigung« sei, ist so ein Satz. Er suggeriert ein Ende der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um einen Endlagerstandort.
Oft ist die Halbwertszeit solcher Sätze kürzer als die des radioaktiven Jod 131, d.h. weniger als 8 Tage. Dieses mal ging es noch schneller: Bereits während der Aushandlung des Kompromisses am Dienstag protestierten Anti-Atom-AktivistInnen aus mehreren Bundesländern vor der niedersächsischen Ländervertretung in Berlin, wo die Gespräche stattfanden. Deren Ergebnis war absehbar.
Der Widerstand geht weiter
Unmissverständlich machte die Anti-Atom-Bewegung klar, dass sich Umweltminister Altmaier (CDU), SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin gewaltig irren, wenn sie glauben, Ruhe an der Atomfront geschaffen zu haben. Der Widerstand gegen die Atompolitik werde weitergehen. Bei dieser Ankündigung handelt es sich nicht um das sture Beharren einer Minderheit, denen ihr Protestthema abhanden gekommen zu sein scheint. Im Gegenteil: Der Kompromiss ist dermaßen fadenscheinig, dass weitere Proteste nicht nur zu erwarten, sondern notwendig sind.
Da ist zunächst das dubiose Verfahren zu nennen, sich auf ein Endlager zu einigen. Sinn macht die Einrichtung einer Kommission, die Kriterien zur Endlagersuche festlegen soll, nur, wenn der Bundestag Antworten, die eine solche Kommission erst liefern soll, nicht bereits vorher in ein Endlagersuchgesetz gießt. Doch der gestern gefundene Kompromiss
sieht genau das vor: Bis zur parlamentarischen Sommerpause soll ein Gesetz verabschiedet werden, noch bevor die Kommission überhaupt Ergebnisse präsentieren kann. Das ist so, als wenn eine Vorschrift in Krankenhäusern vorsehen würde, dass Ärzte erst zu operieren haben, bevor sie eine Diagnose stellen dürfen.
Eine solche Verfahrensweise macht keinen Sinn, könnte man annehmen. Doch die beteiligten Parteien denken anders: Vor der Bundestagswahl im September kann die Union nun damit werben, angeblich einen großen Streit im Konsens mit SPD und Grünen beigelegt zu haben. SPD und Grüne hingegen können darauf verweisen, sich einer angeblichen »Lösung« nicht aus wahltaktischen Gründen verweigert zu haben. Außerdem können sie versprechen, alles im besten Sinne zu regeln - vorausgesetzt natürlich, die Wählerinnen und Wähler machen ihre Kreuze an den »richtigen« Stellen und geben Rot-Grün ihre Stimmen.
Schummeleien und Schadenersatz
Ein dicker Brocken, der eine zufriedenstellende Lösung ebenfalls blockiert, ist das Festhalten an Gorleben als möglicher Endlagerstandort. Dabei ist Gorleben ungeeignet. Das Deckgebirge über dem Salzstock ist brüchig und schottet die Salzkammern, in denen hochradioaktiver Müll gelagert werden soll, nicht ab. Es besteht die Gefahr, dass radioaktive Stoffe ins Grundwasser gelangen. Da der Salzstock nicht dicht und Salz bekanntlich wasserlöslich ist, könnte Gorleben absaufen - wie Asse II, ein Lager für schwach- bis mittelradioaltiven Müll in Niedersachsen.
Die zahlreichen Manipulationen, Schummeleien, Betrügereien, halben Wahrheiten und ganzen Lügen bei der Erkundung und dem Betrieb von Atommülllagern in Deutschland sind gut dokumentiert. Der gestern gefundene Kompromiss zur Endlagersuche berücksichtigt das kaum. Vertrauen schaffen sieht anders aus.
Deutlich hat die Atomindustrie erklärt, dass sie an Gorleben festhalten will. Für die Suche nach alternativen Standorten will sie auch nicht zahlen. So erklärte der Lobbyverband Deutsches Atomforum: »Für die Übernahme zusätzlicher Kosten durch die Betreiber infolge alternativer Standorterkundungen vor einer abschließenden Bewertung zur Eignung Gorlebens gibt es nach unserer rechtlichen Auffassung keine Grundlage.«
Das ist eine Drohung an die Politik - und zwar eine ernst zu nehmende. Erfolgreich hat der Energiekonzern RWE vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gegen die Abschaltung seines Atommeilers Biblis nach dem Gau von Fukushima geklagt. Dem Land Hessen droht damit eine Klage auf Schadenersatz: RWE verlangt 190 Millionen Euro. Gestärkt durch dieses Urteil, kann die Atomindustrie darauf hoffen, die Kosten für eine Endlagersuche auf den Staat (also die Steuerzahler) abzuwälzen. Das schlüge mit mindestens 1,6 Milliarden Euro zu Buche. Allein diese Drohung dürfte dazu verführen, dass Union, SPD und Grüne (die FDP tut dies sowieso) an Gorleben festhalten. Darüber hinaus ist Gorleben durch die lange Auseinandersetzung, die vielen Regierungslügen und das dadurch entstandene Misstrauen als potentieller Standort politisch verbrannt.
Atomkraft ist noch längst nicht Geschichte
In der öffentlichen Debatte unterschlägt die Bundesregierung zudem, dass es bei dem Kompromiss nicht nur um die Lösung vergangener Probleme geht. Denn es laufen in Deutschland immer noch neun Reaktoren, die tagtäglich hochradioaktiven Abfall produzieren. »Trotz Atomausstiegs-Beschluss ist Deutschland in der EU nach Frankreich das Land, das mir seinen Atomkraftwerken jährlich am zweitmeisten Atommüll produziert«, stellt die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt fest. Daran ändert der Kompromiss nichts.
Im Gegenteil: Mit dem Verweis auf Atomausstiegsbeschluss und Endlagersuchgesetz können Atomfreunde und Bundesregierung behaupten, dass alles geregelt ist und es keinen Grund mehr für Widerstand gibt. Zumindest bis 2022 können die Energiekonzerne also so weitermachen wie bisher - nun mit dem Vorteil ausgestattet, dass jeder Anti-Atom-Protest sich zu rechtfertigen hat.
Ob dann 2022 tatsächlich das letzte AKW abgeschaltet wird, ist keineswegs sicher. Möglich ist auch, dass die Debatte in ein paar Jahren von vorne losgeht und ein erneuter Ausstieg aus dem Ausstieg droht. Die Klage von RWE könnte nur ein kleiner Vorgeschmack sein. Gegenwärtig laufen weltweit 437 AKWs. Historischer Höchststand war im Jahr 2006 mit 441 Reaktoren. Kurzzeitig sank die Zahl der AKWs leicht, bis mit wiederum 441 Reaktoren im Jahr 2010 der Höchststand wieder erreicht war.
Weltweit werden derzeit 56 AKWs gebaut. Zehn Länder, die bisher keine Kernkraftwerke hatten, planen den Einstieg in die Atomkraft. Bisher gibt es nur ein einziges Land, das einen Atomausstieg vollzogen hat: Italien legte 1986, nach dem Tschernobyl-Gau, seine vier Reaktoren still. Neben Deutschland planen vier weitere Länder einen Atomausstieg. Doch Fukushima scheint schnell vergessen. Japan hat seine Ausstiegsankündigung nach einem Regierungswechsel faktisch wieder zurückgenommen und auch Spanien rudert zurück. Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt global keinen Trend Richtung Ausstieg, neue AKWs sind im Bau und genau das liefert der deutschen Atomlobby weiterhin Argumente, die noch laufenden neun Reaktoren länger als geplant am Netz zu lassen.
Es geht hier nicht darum, zu spekulieren, wie wahrscheinlich ein erneuter Ausstieg aus dem Ausstieg in Deutschland ist. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass sich die derzeitige politische Lage auch ändern kann und der angekündigte Atomausstieg keineswegs unumkehrbar ist.
Verantwortungsvolle Endlagersuche
Wie sähe dann ein verantwortungsvolles Verfahren zur Endlagersuche aus? Ganz anders als das von Union, SPD und Grünen nun gewählte. Zum Beispiel so:
Erstens muss Gorleben aus der Liste potentieller Standorte gestrichen werden.
Zweitens: Der Atomausstieg muss unumkehrbar abgeschlossen sein, bevor man sich auf einen Standort einigt. Der »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland« (BUND) drückt es so aus: »Ein sog. Endlager, das den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke ermöglicht und so die Atommüllberge weiter wachsen lässt, ist nicht akzeptabel und wird überall zu Recht auf Widerstand stoßen.« Aus den negativen Erfahrungen der Vergangenheit lässt sich laut .ausgestrahlt die Schlussfolgerung ziehen, dass es »keine ehrliche und auf die größtmögliche Sicherheit bezogene Entsorgungsdebatte« geben wird, »solange sich mit dem Betrieb von AKW noch viel Geld verdienen lässt«.
Drittens: Die Öffentlichkeit muss nicht nur beteiligt werden, sondern muss auf das Verfahren und auf die letztendliche Entscheidung auch DIREKTEN Einfluss haben (»direkt« ist das Schlüsselwort: groß geschrieben, gefettet und unterstrichen). Über eine Beteiligung an einer Bundestags- oder Landtagswahl ist dieser nicht gesichert. Allein die schlechte Erfahrung mit dem wachsweichen rot-grünen Atomkompromiss unter der Regierung Schröder, der dann später von Schwarz-Gelb aufgekündigt wurde, spricht Bände.
Viertens: In dem Verfahren müssen Experten, die Einfluss nehmen, unabhängig von der Atomindustrie sein. Alle Gutachten und Unterlagen müssen veröffentlicht werden und für jeden leicht zugänglich sein.
Fünftens: Betroffene Anwohner und Kommunen, Bürgerinitiativen und Umweltgruppen müssen sich in der Lage sehen, selbst ein kompetentes Urteil fällen zu können - auch durch die Beauftragung selbst gewählter Fachleute. Die entsprechenden Kosten müssen vom Staat finanziert werden.
Sechstens: Für die Auswahl eines Standortes dürfen nur fachlich zu rechtfertigende Argumente gelten. Finanzielle Vorbehalte dürfen nicht zählen. Denn das Auswahlverfahren für einen Standort muss als oberste Maxime die Sicherheit eines Endlagers haben.
Siebtens: Erst wenn die obigen Punkte gewährleistet sind, kann man sich auf Kriterien zu einer Endlagersuche einigen. Stehen die im gesellschaftlichen Konsens erarbeiteten Kriterien fest, können Standorte benannt und dann untersucht werden.
Umweltminister Altmaier bietet diesbezüglich nichts an. Trotzdem haben sich SPD und Grüne auf das Verfahren eingelassen. Es kann also kaum verwundern, wenn die Anti-AKW-Bewegung weiter demonstrieren wird. Je größer die Proteste werden, desto besser.
Zum Autor:
Pickelhering ist aktiv bei Anti Atom Berlin und Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln.
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