Seitdem Quentin Tarantinos Film »Django Unchained« in den Kinos läuft, wird wieder über den Italo-We­stern gesprochen. Das Genre gilt als Trash. Zu Unrecht: Denn es behan­delt ein Thema, das im klassischen Western fehlt. Von Pickelhering

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Dr. King Schultz ist durchaus ab­gebrüht. Doch als der deutsch­stämmige Kopfgeldjäger mitan­sehen muss, wie sein Gastgeber, der Plantagenbesitzer Calvin Candie, einen seiner Sklaven von Hunden zerfleischen lässt, wird er »grün im Ge­sicht« – wie Candie belustigt feststellt. Schultz' Part­ner, der schwarze Ex-Sklave und Revolvermann Django, lässt sich hingegen nichts anmerken. Can­die fragt ihn daraufhin boshaft, ob er – im Gegen­satz zu Schultz – einen solchen Anblick gewohnt sei. Django erwidert lakonisch: »Ich bin Amerikaner ein­fach mehr gewohnt als er.« Es sind solche scharf geschliffenen Dialoge und die drastische Darstellung der Sklaverei in Quentin Ta­rantinos Film »Django Unchained«, die in den USA eine neue Debatte über Rassismus und die Zeit der Sklaverei eröffnet haben (neben dem ebenfalls der­zeit erfolgreich laufenden Steven-Spielberg-Film »Lincoln«). Unabhängig davon, wie man sonst zu Filmen von Tarantino steht, muss man dies als sei­nen Verdienst ansehen.

Ein schwarzer Gunman als Hauptrolle

Anerkennenswert ist auch, dass Tarantino dem Western-Genre einen schwarzen Gunman in der Hauptrolle hinzugefügt hat. Bis heute sind im US-Western eigentlich die Hauptcharaktere mit Weißen besetzt – von wenigen Ausnahmen wie Clint East­woods Spätwestern »Erbarmungslos« (1992) abge­sehen. Darin verkörpert Morgan Freeman den Ex-Revolverhelden Ned Logan, der an der Seite seines ehemaligen Partners William Munny (Clint East­wood) noch einmal auf Kopfgeldjagd geht. Aller­dings wird Logan ermordet – und liefert damit Mun­ny (also dem weißen Hauptdarsteller Eastwood) das Motiv und die Gelegenheit für den Showdown (den der Weiße überlebt).

Schwarze Cowboys tauchten zwar bereits in Filmen der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf, aber diese Filme wurden von weißen Produzenten für ein ausschließlich schwarzes Publikum gedreht. In den Jahren 1968 und 1969 lief die Western-Serie »Outcasts« über zwei Kopfgeldjäger im US-amerika­nischen Fernsehen: der eine, Jemal David, ein ehe­maliger Sklave, der andere, Earl Corey, ein ehema­liger Sklavenhalter. »Amerikas weiße Gesellschaft hat erstmals Gelegenheit zu sehen, dass auch die Schwarzen in diesem wichtigen Abschnitt der Ge­schichte eine wichtige Rolle gespielt haben«, zitierte damals das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« Hans-Jürgen Massaquoi, den Mitherausgeber der für den afroamerikanischen Markt produzierten Zeitschrift Ebony.

Eine solche Darsteller-Konstellation spiegelte das sich verändernde gesellschaftliche Klima in den USA und den Kampf der Bürgerrechtsbewegung gegen Rassismus wider. Doch das Duo ist ein ungleiches. Die Titelhelden sind keine Freunde, vielmehr nennt Corey Jemal häufig »Boy«, eine abwertende Bezeich­nung für einen (schwarzen) Laufburschen. Jemal hingegen nennt Corey »Boss«. Ganz anders das Ver­hältnis von Schultz und Django in Tarantinos Film: Es ist von Respekt und Freundschaft geprägt.

Erst in den Blaxploitation-Western der 1970er-Jah­re durften Schwarze »echte Westernhelden« sein. In Jack Arnolds Film »Boss Nigger« (1975) zum Beispiel repräsentiert ein schwarzer Gunman nun das Gesetz in einer von Weißen bewohnten Stadt. Wer über die­se Filme (und über Tarantino, der solche Filme in seinen eigenen gerne zitiert) die Nase rümpft, sollte zumindest diese Tatsache an­erkennen.

Gesellschaftskritischer Unterton

Neben den Anspielungen auf Blaxploitation-Produktionen enthält »Django Unchained« zahlreiche Verweise auf soge­nannte »Spaghetti-Western«. Von Kritikern wird gerügt, dass sowohl Blaxploitation-Filme als auch Spaghetti-Western Sex und Gewalt explizit darstellen, um damit Kasse zu machen. Die Ausei­nandersetzung mit der Sklaverei sei mit den Mitteln dieser Genres unmöglich.

Das ist eine einseitige Betrachtung der Italo-Wes­tern. Denn sie enthalten oft einen gesellschaftskriti­schen Unterton in der Darstellung von Minderheiten und Unterdrückten. In seiner Genrestudie »Ita­lo-Western« beschreibt der Sprachwissenschaftler Philipp Strazny die Entstehung dieser Filmgattung: »Das Genre ›Italo-Western‹ bildete sich heraus, als der Vietnamkrieg die Proteste gegen das ›Establish­ment‹ verursachte und in Europa die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit das Vertrauen vieler jun­ger Menschen in die Gesellschaft erschütterte. Das Wertesystem der Elterngeneration wurde abgelehnt; Provokation stellte ein beliebtes Mittel der Ausein­andersetzung dar. Die Italo-Western mit ihrer pro­vokanten und für damalige Verhältnisse schockie­renden Stilistik und ihrem Nihilismus fügten sich daher gut in die damalige Stimmungslage ein. Die Behauptung, dass es gerade die Negierung der traditionellen Werte war, die den Italo-Western zu seiner Zeit so populär machte, führt daher sicherlich nicht zu weit.«

Gesellschaftskritische Akteure und Regisseure der 1960er- und 1970er-Jahre empfanden das Hollywood-Kino als »gesäuberte« Version der Realität. Inhaltlich galt der klassische Western als verharm­losende Version der US-Geschichte und war da­mit auch formal überholt. Gerade in sogenannten B-Movies wurde der Versuch unternommen, zu ei­ner anderen Darstellung zu finden (am Beispiel des Horrorfilms beschreibe ich diese Entwicklung in dem Artikel »Als die Monster menschlich wurden«, marx21, Nr. 24, Februar/März 2012).

Auch das Mainstreamkino hat sich dadurch nachhaltig verändert. Treffend schreibt »Spiegel«-Filmkritiker Lars-Olav Beier in seinem Artikel »Die Guten waten im Blut«: »In den sechziger Jahren ging die Trennschärfe zwi­schen Gut und Böse weitgehend verloren – nicht nur im Italo-Western, in dem die aus Europa stammen­den Helden oft und gern über Leichen gingen. Ge­nau in der Zeit, als die amerikanische Nation zum ersten Mal das Gefühl hatte, einen ungerechten Krieg zu führen, fiel im Western die letzte Grenze: die zwischen Freund und Feind.«

Wie der Italo- ist auch der US-amerikanische Spätwestern ein Produkt dieser veränderten gesellschaftli­chen Stimmung, an der selbst Hollywood nicht vorbeikam: Im Jahr 1966 drehte Richard Brooks mit »Die gefürchte­ten Vier« einen Film, der von der Kritik gefeiert wurde. Es war eine der ersten Holly­wood-Produktionen, die sich indirekt kritisch zur US-ame­rikanischen Intervention in

Vietnam äußerten. Der Film spielt im Mexiko des Jahres 1917. Vier Revolverhelden sollen die angeb­lich von Banditen entführte Frau des reichen US-amerikanischen Ranchers Grant retten. Die Gun­men glauben, für das Gute zu kämpfen, müssen aber nach und nach erkennen, dass sie auf der falschen Seite stehen. Die mexikanischen Banditen ent­puppen sich als Revolutionäre, die angeblich ent­führte Frau ist in Wahrheit von ihrem Vater zur Hei­rat mit Grant gezwungen worden und nun zu einem der Revolutionäre geflohen, mit dem sie liiert ist. Un­terschwellig verurteilt der Film das Einmischen der USA in die mexikanische Revolution der Jahre 1910 bis 1920. Die Revolution ist allerdings nicht das Hauptthe­ma des Films. Der Kampf der Unterdrückten gegen die Diktatur bleibt ausgespart und dient lediglich als Hintergrundkolorit, vor dem sich die Story des Films entfaltet.

Kampf von Unterdrückten

Nur selten wird im US-Western der Kampf von Un­terdrückten dargestellt. »Die glorreichen Sieben« (1960) von John Sturges ist eine dieser Ausnahmen. Auch hier ist Mexiko der Schauplatz. Die »Bösen« sind allerdings nicht die Vertreter einer Diktatur, des Kapitals oder des Großgrundbesitzes, sondern eine Bande mexikanischer Banditen, die regelmäßig die armen Bewohner eines Dorfes ausrauben. Vor allem ist die Story auch keine amerikanische Er­findung. »Die glorreichen Sieben« basiert auf dem Film »Die sieben Samurai« (1954) des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa. Kurosawa war es auch, der mit »Yojimbo – Der Leibwächter« (1961) die Vor­lage für den ersten erfolgreichen Italo-Western lie­ferte: Sergio Leones Kultfilm »Für・ eine Handvoll Dollar«. Der erschien 1964 und trug dazu bei, Clint Eastwood zu einem Star zu machen. An dessen Art, den wortkargen Revolverhelden darzustellen, orien­tierten sich viele nachfolgende Western.

Das Neue an »Helden« der Sorte Eastwood oder Franco Nero (dem ursprünglichen Django-Darstel­ler) war, dass sie keine edle Ritterlichkeit zeigten, sondern eigennützig handelten. Entweder ging es ihnen um Geld oder um Rache. Im Italo-Western ist die Gesellschaft von Gewalt, Armut, Ausbeutung, Korruption und Unterdrückung zerstört. Für den Ty­pus des edlen, sich stets selbstlos für andere oder die Gemeinschaft einsetzenden Cowboys, den Darsteller wie John Wayne oder James Stewart im klassi­schen Western bis in die 1970er Jahre hinein verkör­perten, ist im Italo-Western kein Platz.

Im US-Spätwestern, der Anfang der 1960er-Jahre entstand, werden solche »edle Helden« als müde, gealterte Revolvermänner gezeigt, die beklagen, dass die früher intakte Gesellschaft heruntergekom­men sei und grundlegende Werte wie Ritterlichkeit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit aus den Augen verloren habe. Der Italo-Western hingegen bestreitet, dass diese Werte überhaupt jemals exis­tiert haben: Er beerdigt also Gründungsmythen der USA.

Expliziter als im Spät-Western wird der Kampf von Unterdrückten in Italo-Western wie Sergio Leones »Todesmelodie« (1971) gezeigt, in dem die mexikanische Revolution im Mittelpunkt steht. Allerdings liefert der Film keine politische Analyse, sondern ist ein actiongeladenes Spektakel mit gesellschaftskriti­schen Untertönen.

Be­freiung muss das Werk der Un­terdrückten selbst sein

Politisch deutlicher als Leone äußert sich der eben­falls italienische Regisseur Sergio Corbucci in seinen drei Spaghetti-Western »Leichen pflastern seinen Weg« (1968), »Mercenario – Der Gefürchtete« (1968) und »Lasst uns töten, Compañeros« (1970). »Leichen pflastern seinen Weg« spielt im Jahr 1898. Die Ein­wohner des kleinen Dorfes Snowhill im US-Bundes­staat Utah leiden unter dem harten Winter und un­ter dem Richter Pollicut, der in Personalunion auch Bankier und Kaufmann des Ortes ist. Die Ärmsten des Dorfes müssen hungern und sehen sich in ihrer Not gezwungen, zu Outlaws zu werden: Sie überfal­len die Reichen, um zu überleben. Pollicut setzt auf ihre Ergreifung (»tot oder lebendig«) Prämien aus, was Snowhill zu einem Hauptquartier geldgieriger Kopfgeldjäger macht, die von Loco angeführt wer­den (hervorragend verkörpert von Klaus Kinski). Unbarmherzig knallen sie die Outlaws ab und be­mühen sich gar nicht erst, jemanden lebendig einzu­fangen. Sie agieren unter dem Deckmantel der Lega­lität als Vertreter des Rechtssystems im Auftrag des Kapitalisten und Richters Pollicut.

Auch der Ehemann der schwarzen Pauline wird von Loco über den Haufen geschossen. Rassistisch kommentiert Loco die auf Paulines Mann ausge­setzte Prämie: »Was ist das für eine verrückte Zeit? Ein Schwarzer ist doppelt so viel wert wie ein Wei­ßer.« Pauline bittet daraufhin den stummen Revol­vermann Silence um Hilfe. Er soll Loco töten und die Kopfgeldjäger vertreiben. Silences Eltern sind von Kopfgeldjägern getötet worden, er selbst als Kind von diesen verstümmelt worden, wodurch er seine Sprachfähigkeit verloren hat. Silence versteht also die Lage der armen Dorfbewohner gut. Doch zu­nächst geht es ihm nur um persönliche Rache. Au­ßerdem verlangt er von Pauline 1000 Dollar für sei­ne Dienste, woraufhin diese sich gezwungen sieht, Pollicut ihr Haus zum Verkauf anzubieten, da sie das Geld anders nicht auftreiben kann.

Silences Methode, Kopfgeldjäger im Einklang mit den bestehenden Gesetzen zur Strecke zu bringen, funktioniert eine Weile recht gut: Er provoziert ei­nen Bounty Hunter so lange, bis dieser beleidigt seine Waffe zieht. Dann kann der »Kopfgeldjäger-Jäger« Silence ihn »in Notwehr« erschießen. Doch Loco ist raffinierter und lässt sich nicht provozieren.

Auch der neue Sheriff des Ortes, der die Kopfgeldjä­ger verabscheut, scheitert, weil das Morden der Bounty-Hunter nicht gegen Gesetze verstößt. Es dauert nicht lange, bis Loco den Sheriff erschießt, durch den er sich in seinem »Job« behindert fühlt. Dann machen die restlichen Kopfgeldjäger erfolgreich Jagd auf Si­lence und die Outlaws. Am Ende werden Silence und alle, auf die ein Kopfgeld ausgesetzt ist, erschossen.

Ein solches Ende ist bemerkenswert für einen Wes­tern, denn in diesem Genre gewinnen gewöhnlich die Opfer – vertreten durch professionelle Gunmen, die für sie gegen »die Bösen« kämpfen. Doch Cor­bucci hatte eine andere Botschaft im Sinn: Die Be­freiung der Unterdrückten muss das Werk der Un­terdrückten selbst sein. Auf einen Erlöser zu hoffen und die Befreiung von Dritten zu erwarten, führt un­weigerlich zum Scheitern jedes Widerstandes.

In »Mercenario« variiert er diese Botschaft: Zunächst engagieren mexikanische Revolutionäre einen aus­ländischen Söldner, um sie auszubilden. Doch die­ser verlangt viel Geld und leistet sich auf Kosten der Widerstandskämpfer einen vergleichsweise üppigen Lebensstil, während diese sich kaum das Lebens­notwendige leisten können. Obwohl die Revolution noch nicht beendet ist und die Revolutionäre sich noch nicht so geschickt anstellen wie der erfahrene Söldner, trennen sie sich von ihm in der Erkenntnis, dass die mexikanischen Arbeiter und Armen nur aus eigener Kraft gewinnen können.

Sklaverei und Western

Den Italo-Western durchziehen reißerische Auf­machung, voyeuristische Gewaltdarstellungen und Machismus. Das wird oft zu Recht kritisiert. Den­noch muss man dem Genre zugutehalten, dass ge­sellschaftskritische Töne in dieser Deutlichkeit bis zu seiner Erfindung die absolute Ausnahme waren.

Dass Quentin Tarantino mit »Django Unchained« daran erinnert und außerdem dem Genre eine ori­ginelle Note verpasst hat, indem er »den Westen« in den Süden verlagerte, hat ihm verdientes Lob der meisten Kritiker und auch des Publikums einge­bracht.

Bisher ist das Thema Sklaverei vom US-Kino vernachlässigt worden. Tarantino bemerkte treffend in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Auch der Western ist dem Thema auffällig ausgewichen, obwohl viele Western exakt in der Zeit spielen und auch in Texas, wo die Sklaverei blühte.« Vielleicht ändert sich das nun.

Anmerkung zum Text:
Diesen Artikel habe ich für das Magazin marx21 (Heft 01/2013) verfasst.

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