Zum zweiten Mal ist DIE LINKE aus einem
westlichen Landesparlament herausgeflogen. Nach Schleswig-Holstein
scheiterte DIE LINKE mit 2,5 Prozent auch in Nordrhein-Westfalen. Was
sind die Ursachen dieser Niederlagen? Und kann der Partei über 2013
hinaus ein zweiter Aufbruch gelingen? 13 Thesen zur Krise der LINKEN
von marx21 – Netzwerk für internationalen Sozialismus.
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1. Alles
Personaldebatte? DIE LINKE ist nicht in der Krise, weil sie streitet.
Sie streitet, weil sie in der Krise ist.
Selbstbeschäftigung,
Streitereien, mangelnde Geschlossenheit, Flügelkämpfe - das sind
die wesentlichen Faktoren, die für den Niedergang der Partei
verantwortlich gemacht werden. Doch unterschiedliche Flügel und
erhebliche inhaltliche und strategische Differenzen gab es in der
Partei schon vor drei Jahren, als sie noch fulminante Erfolge bei den
Bundes- und Landtagswahlen einfuhr und Mitglieder gewann, statt sie
zu verlieren. Virulent geworden ist der Flügelkampf, als der Erfolg
ausblieb, und damit der Kitt abfiel, der bis dato die Partei
zusammengehalten hatte. Doch warum blieb der Erfolg aus? Dazu fehlt
in unserer Partei eine überzeugende Analyse und als Konsequenz eine
politische Umorientierung. Ohne Analyse und Umorientierung wird
jedoch jeder Appell an Geschlossenheit verpuffen.
2. Das wesentliche
Problem der LINKEN ist, dass sie ihre Wähler nicht mehr mobilisiert
und ihre Mitglieder nicht motiviert.
Die politischen
Rahmenbedingungen haben sich seit dem Ende der großen Koalition 2009
verändert. Nun gerieren sich SPD und Grüne als größtes
Oppositionslager gegen die Merkel-Regierung, während der
außerparlamentarische Widerstand schwach ist. Vielen ehemaligen
Wählern der LINKEN ist nicht klar, wofür sie
DIE LINKE im Parlament noch brauchen. Die Zahlen sprechen eine
deutliche Sprache: In Nordrhein-Westfalen verlor die Partei 90.000
Stimmen an die SPD, 80.000 an die Piraten, 30.000 an die Grünen und
20.000 an die Nichtwähler.
In Schleswig-Holstein
verlor DIE LINKE zwar 6.000 Stimmen an die Piraten und 9.000 Stimmen
an die SPD. Der größte Verlust waren aber 39.000 Stimmen an die
Nichtwähler. Auch im Saarland überstieg der Abgang an die
Nichtwähler (17.000 Stimmen) die kombinierten Verluste an Piraten
und SPD (jeweils 7000). Hier ist also das Problem nicht, dass ihre
vormaligen Wähler jetzt die Piraten und SPD wählen, sondern dass
sie gar nicht mehr wählen, weil sie jede Hoffnung auf Veränderung
verloren haben. Das fällt deshalb so stark ins Gewicht, weil auch
DIE LINKE falsche Vorstellungen gefördert hat, wie gesellschaftliche
Veränderung möglich und machbar ist.
3. DIE LINKE hat zu
oft den Eindruck erweckt, dass sie das Land durch ihre bloße Präsenz
und ihren Einfluss auf die anderen Parteien ändern könne. Dem ist
nicht so und das fällt der Partei jetzt auf die Füße.
Innerhalb der
Anhängerschaft der LINKEN ist die Vorstellung weit verbreitet, dass
sich gesellschaftliche Veränderungen wesentlich über die Parlamente
vollziehen, da die viel größere potenzielle Macht von kollektiven
Kämpfen als zu wenig greifbar erscheint. Dem hat DIE LINKE bisher zu
wenig entgegengesetzt. Ein Blick auf zentrale Aussagen der LINKEN in
den letzten Jahren zeigt das Problem: "DIE LINKE wirkt!" und "Je
stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land" oder "Wer will, dass
die SPD wieder sozialdemokratisch und die Grünen wieder ökologisch
werden, muss DIE LINKE wählen". Tatsächlich aber ist trotz einer
stärkeren LINKEN und eines Wirtschaftsaufschwungs der
Umverteilungsprozess von unten nach oben weitergegangen. Unsere
Wahlparole von 2009 "Hartz IV muss weg" steht im Kontrast zur
Tatsache, dass mit dem Kürzungspaket von Schwarz-Gelb (2010) die
Hartz-Gesetze noch einmal verschärft wurden. Leiharbeit und prekäre
Beschäftigung haben explosionsartig zugenommen.
Dass neben der SPD und
den Grünen jetzt auch die CDU über den Mindestlohn nachdenkt, zeigt
erstmal, dass diese Parteien glauben, dass ohne ein Signal in Richtung
soziale Gerechtigkeit in Deutschland inzwischen keine Wahlen mehr zu
gewinnen sind. Eine realistische Umsetzungsperspektive ist dies aber
nicht. Soziale Wahlversprechen zerschellen vielmehr an der Festlegung
aller Parteien auf eine restriktive Haushaltspolitik - ein Sog, dem
sich auch DIE LINKE in Regierungen nicht entziehen konnte, wie das
Scheitern des rot-roten Projekts in Berlin zeigt.
DIE LINKE hat sich selbst
zur Funktionspartei in Relation zu anderen Parteien degradiert. Dass
wir SPD und Grüne zu Versprechungen nötigen, die dann nach Wahlen
wieder fallengelassen werden, reicht aber als Existenzberechtigung
für DIE LINKE und für die Motivation ihrer Mitglieder nicht aus.
4. Um nicht als Teil
des Establishments gesehen zu werden, muss DIE LINKE ganz anders sein
als die etablierten Parteien. Das bedeutet einen Bruch mit der
Fixierung auf Parlamente als wesentliches Aktionsfeld und Hebel zur
gesellschaftlichen Veränderung.
Ein bewusster Aufruf an
unsere Mitglieder und Wähler zur Aktivität und Selbstermächtigung
könnte durchaus zu einem neuen Markenkern der LINKEN werden.
Jean-Luc Mélenchons Wahlkampf war auch deswegen so erfolgreich, weil
er den Menschen keinerlei Illusionen darüber gemacht hat, was
tatsächlich nötig ist, um eine krisengeschüttelte Gesellschaft zu
verändern. Seine beiden wichtigsten Slogans - "Prenez le pouvoir!"
("Erobert die Macht!") und "révolution civique" waren darauf
ausgerichtet, den Menschen zu sagen, dass sie die Macht selbst
übernehmen müssen. Es geht nicht darum zu sagen: "Wir machen das
schon." Derartige Heilsversprechen sind unrealistisch und werden,
wenn wir sie nicht einlösen, schnell von Enttäuschung abgelöst.
Mélenchon hat dies anders gemacht: Er hat es vermocht, seinen Aufruf
zum Aufstand mit realen und symbolträchtigen Mobilisierungen zu
verbinden. So erklärte er als ein Ziel in der Wahlkampagne, die
öffentlichen Plätze nach dem Vorbild der Occupy-Bewegung erobern zu
wollen. Die konzentrierten Mobilisierungspunkte seiner Kampagne waren
sehr langfristig angelegt. Zur Besetzung der Place de la Bastille am
Jahrestag der Pariser Kommune durch die Linke wurde wochenlang
mobilisiert und die Eroberung wurde zu einer Aufgabe für die gesamte
Linke in der Gesellschaft deklariert. Eine Strategie mit Erfolg: Die
Menschen sahen die Kampagne der Front de Gauche als ihr eigenes
Projekt. Mélenchon, vor der Wahlkampagne noch als Politiker
belächelt, dessen beste Tage bereits hinter ihm lagen, wurde
plötzlich zum Star der bewegten Linken. Er überholte Le Pen und
Hollande auf Facebook und hat heute über 100.000 Fans in der
Internetplattform - seine Kampagne gilt als die mit Abstand
erfolgreichste Kampagne des Web 2.0 in Frankreich. Dies erreichte er
nicht, weil er ständig über Netzpolitik redete, sondern weil er das
soziale Netzwerk als Instrument des "Bürger-Aufstands" benutzte
und dies mit glaubhaften und ambitionierten, aber auch symbolisch
aufgeladenen Bewegungsmomenten verband.
5. Trotz aller
Solidarisierung mit außerparlamentarischen Bewegungen - DIE LINKE
ist gefangen in einer Fixierung auf Wahlkämpfe, Wahlen und
Parlamente. Diese Fixierung ist mittlerweile ein Hemmschuh für den
Aufbau von funktionierenden Basisstrukturen, kämpferischen
Initiativen und gesellschaftlichen Bündnissen.
Parlamentarische
Vertretungen machen für DIE LINKE Sinn, um die eigenen Forderungen,
Bewegungen und Analysen der Partei breit in die Öffentlichkeit zu
tragen. Jean-Luc Mélenchon hat in Frankreich eindrucksvoll
demonstriert, wie die Bühne des Präsidentschaftswahlkampfs für die
Darstellung eines scharfen Oppositionskurses gegen die herrschende
Politik zu nutzen ist. Im besten Falle befruchtet und befördert die
parlamentarische Arbeit dabei den Aufbau von Partei und Bewegung. DIE
LINKE hat jedoch kein gesundes Maß zwischen der Arbeit in und
außerhalb der Parlamente gefunden. Gegründet für die
Bundestagswahl 2005, als Wahlpartei, hat DIE LINKE bis heute keine
wirkliche Antwort darauf gefunden, wie die Praxis der Partei zwischen
den Wahlen aussehen kann. Es ist aber ein Problem, wenn unsere Partei
nur in Wahlkämpfen so richtig zum Leben erwacht - und nicht etwa
dieselbe Aktivität gegen Mieterhöhungen, Privatisierungen,
Entlassungen an den Tag legt. Hätten wir solche Kampagnen mit dem
Enthusiasmus unserer jüngsten Wahlkämpfe geführt, stünde die
Partei heute besser da. Deshalb ist es auch verkürzt, den Erfolg und
die Stärke der LINKEN in erster Linie an Umfragen und
Wahlergebnissen zu messen.
Ein Beispiel: Beim
Kommunalwahlkampf in NRW trat die LINKE flächendeckend an - mit
Erfolg: die Partei konnte fast 400 kommunale Mandate erringen. Ein
Pyrrhus-Sieg: Die Partei zählt in NRW 8000 Mitglieder - viele der
Aktivsten, die vorher die Ortsgruppen zusammengehalten hatten,
rückten in Ratsfraktionen ein. Die Kommunalparlamente sind jedoch
keine eigenständige legislative Gewalt, sondern Teil der Verwaltung.
Darüber hinaus ist das Terrain dort für DIE LINKE denkbar ungünstig
- durch die Sparvorgaben ist der Spielraum für linke Politik
äußerst begrenzt. Während sich potenzielle Aktive in
Ratspositionen verkämpften, zerfielen die lokalen Strukturen.
Mittlerweile hat DIE LINKE.NRW ein Viertel ihrer Ratsfraktionen verloren -
auch deswegen, weil die parlamentarische Arbeit nicht durch eine
aktive Basis untersetzt werden konnte, um gemeinsame Kampagnen zu
fahren. Ähnliches spielte sich in anderen westlichen Bundesländern
ab.
Ganz anders zum Beispiel
das Herangehen der Sozialistischen Partei in Holland: Hier gilt als
Bedingung für eine Kandidatur, dass genügend Substanz an der Basis
vorhanden ist, um überhaupt eine kampagnenorientierte
Parlamentspolitik zu tragen. Die SP hat ihren Fokus auf Mitglieder
statt auf Mandate gelegt. Dadurch hat sie in einer
Fläche und Einwohnerzahl vergleichbar mit Nordrhein-Westfalen 48.000
Mitglieder. Dieser Fokus auf die Basisarbeit ist einer der Gründe,
warum sich die SP aus einer tiefen Krise heraus arbeiten konnte und
mittlerweile in Umfragen als zweitstärkste, teilweise sogar als
stärkste Partei gehandelt wird.
Die
parlamentarische Arbeit ist dann gewinnbringend für die Partei, wenn
sie mit den Kämpfen außerhalb der Parlamente verzahnt ist ("keine
Fraktion ohne Aktion") und sich auf eine Verankerung innerhalb der
Kommune stützen kann. Die Annahme, dass
sich über parlamentarische Repräsentanz lokale Strukturen aufbauen
lassen, hat sich als falsch erwiesen - oftmals ist das
Gegenteil der Fall. Eine Umorientierung ist hier dringend notwendig,
die Ansatzpunkte dafür sind die vorhandenen Kämpfe und
Auseinandersetzungen.
6. Die Wahlkampagne
der LINKEN in NRW gehörte zu den engagiertesten der Geschichte der
LINKEN. Sie konnte allerdings nicht in vier Wochen die bundes- und
landespolitischen Schwächen der letzten zwei Jahre ausgleichen.
DIE LINKE.NRW hat den
Wiedereinzug in den Landtag trotz eines engagierten, auf die soziale
Frage konzentrierten Wahlkampfes verpasst. Selten haben sich so viele
Genossinnen und Genossen an einer Wahlkampagne in NRW beteiligt.
Trotzdem konnte die Wahlkampagne innerhalb von vier Wochen nicht die
Fehler der letzten zwei Jahre korrigieren. Der Hauptfokus war nicht
auf den Parteiaufbau und die Außenwendung gelegt, sondern auf die
Fraktion. Durch die objektive Konstellation der Minderheitsregierung
hatte sich eine Sonderform der Fragmentierung und des Programmismus
der politischen Arbeit herausgebildet. Der bürgerliche
Parlamentsbetrieb hat im Wesentlichen die Themen der Politik der
LINKEN bestimmt. Ihr ist es nicht gelungen, eigene Themen zu setzen
und hier ihre Kräfte zu konzentrieren. Auf dem Papier wurde dies
zwar getan, in der Realität gab es jedoch keine Schwerpunktsetzung.
Stattdessen wurden alle Themen als gleich wichtig gesetzt. Dadurch
konnte DIE LINKE dort nicht handlungsfähig werden, wo sich
gesellschaftliche Konflikte zuspitzen, wo Widersprüche aufbrechen,
wo Bewegung entsteht. Sie hat sich im parlamentarischen Alltag
verzettelt und ihre Kernkompetenzen nur unzureichend ausgespielt.
Daran messen jedoch die Menschen, die DIE LINKE gewählt haben, das
Handeln der LINKEN. Dies verdeutlicht eine Erhebung, die zur NRW-Wahl
durchgeführt wurde: weniger als 40 Prozent der Wählerinnen und
Wähler der LINKEN waren Anfang April mit der Politik der Fraktion
zufrieden.
7. Deutschland ist
nicht Griechenland - das Niveau der Klassenkämpfe ist niedrig.
Trotzdem gibt es reichlich Gelegenheiten für DIE LINKE, ihre
Widerständigkeit unter Beweis zu stellen.
Deutschland ist nicht
Griechenland und auch nicht Spanien oder Portugal. In den am
stärksten von der Krise geschüttelten Ländern hat es in Folge der
Eurokrise einen beispiellosen wirtschaftlichen Niedergang mit
explodierender Arbeitslosigkeit und zusammenklappenden
Staatshaushalten gegeben. Die jeweiligen Regierungen setzen Programme
um, die im Kern eine zugespitzte Agenda-2010-Politik sind, und haben
entsprechend massenhaften Widerstand geerntet.
Unsere Situation ist
anders: Weder gibt es zurzeit Anzeichen für einen vergleichbaren
Generalangriff der Merkel-Regierung, noch ist von offensiven
Kampfformen der Gewerkschaften auf ökonomischer oder politischer
Ebene auszugehen. Merkels Krisenpolitik wird zudem in den Grundzügen
von SPD und Grünen politisch gestützt, auch wenn Rot-Grün immer
wieder versucht, sich rhetorisch von der Regierung abzusetzen. Das
unterscheidet sich deutlich von der Gründungsphase der WASG, die
geprägt war von Bewegung gegen Krieg, Montagsdemos gegen Hartz IV
und Protest gegen die Agenda 2010. Diese Proteste haben damals die
SPD gespalten und der Gründung der LINKEN Vorschub geleistet.
Doch diese relative Ruhe
ist nicht in Stein gemeißelt. Deutschland ist keine isolierte Insel
im Meer der taumelnden Eurozone. Es vergeht auch bei uns kaum ein
Tag, ohne dass eine große Firma den Abbau von hunderten oder gar
tausenden Arbeitsplätzen ankündigt. Momentan ist Opel in
Rüsselsheim dran, auch Schlecker, Air Berlin, Lufthansa und
MANRoland kommen einem sofort in den Sinn. Die Tatsache, dass es
nicht in allen Fällen zum Widerstand der Belegschaften kommt,
bedeutet nicht, dass hier keine Klassenauseinandersetzungen
stattfinden.
Die Frage ist: Wo ist bei
diesen Auseinandersetzung DIE LINKE? Für den Aufbau von Widerstand
reichen solidarisierende Pressemitteilungen nicht aus - auch wenn
das natürlich besser ist als nichts. Es ist erforderlich, die Partei
stärker auf die bestehenden Kämpfe zu orientieren. Die Palette von
Auseinandersetzungen ist breit: gewerkschaftliche Kämpfe, die
wachsende Bewegung gegen Mietwucher und Gentrifizierung, Aktionen
gegen Neonazis, usw. Hier sind hunderttausende von Menschen in diesem
Land aktiv, die sich von der LINKEN mehr erwarten als aufmunterndes
Schulterklopfen - sie wollen die Partei als aktive Mitkämpferin.
Wenn sich die Partei mit ihren
Ressourcen mit diesen Kernen des Widerstands verbindet, hat nicht nur
sie eine Zukunft - auch die Bewegung von unten wird stärker, und
es wird möglich, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu
verschieben. Dies ist die Voraussetzung, um tatsächlich
Veränderungen im Sinne der Menschen durchsetzen zu können.
Natürlich engagieren sich jetzt schon viele Mitglieder und
Parteigliederungen in außerparlamentarischen Initiativen. Was fehlt,
ist eine Fokussierung der Gesamtpartei auf diese Art von Arbeit. Die
Arbeit der Partei muss vom Kopf auf die Füße gestellt und von
Basis, Bewegung und Widerstand her gedacht werden.
8. Die Trennung von
politischem und ökonomischem Kampf überwinden. DIE LINKE muss sich
trauen, klar Stellung zu beziehen, um in gewerkschaftliche
Richtungskämpfe einzugreifen. So kann die Partei attraktiver für
Aktive aus den Gewerkschaften werden.
Merkels
Krisenkorporatismus, also die Strategie der exportorientierten
Standortpolitik mit einem Stillhalteabkommen zwischen den
Unternehmern und den Belegschaften, wird auch von SPD und Grünen
mitgetragen und auch innerhalb der Gewerkschaften viel zu wenig
kritisiert. Dies ist das eigentliche Geheimnis der Popularität der
Kanzlerin. Er behindert auch die Entwicklung einer
ausstrahlungsfähigen LINKEN. Eine kritischen Minderheit in den
Gewerkschaften weiß aber genau, dass ein "Weiter so" den
organisatorischen Niedergang der Gewerkschaften nicht aufhalten wird.
Es gibt ernsthafte Bemühungen um eine gewerkschaftliche Erneuerung,
die sich theoretisch in einer Kritik des Krisenkorporatismus und
praktisch im Ausprobieren neuer, demokratischer Streikformen sowie in
Organisationsversuchen unter prekären Beschäftigten äußert.
Deshalb ist es nicht sinnvoll für DIE LINKE, "die Gewerkschaften"
als einheitlichen Block anzugehen. Es ist gut, wenn wir als LINKE
politische Forderungen der Gewerkschaften in den öffentlichen Raum
tragen. Wir sollten allerdings nicht über Fehlentwicklungen
schweigen. Damit reproduzieren wir nur selbst die Trennung von
Politik und Ökonomie. Gerade in Bezug auf das Handeln in der
Eurokrise müssen wir zur Kenntnis nehmen: Es gibt erhebliche
Differenzen zwischen der politischen Ausrichtung der LINKEN und dem
Mainstream der gewerkschaftlichen Führung - und wenn diese
Differenzen nicht erklärt und debattiert werden, ist DIE LINKE auch
nicht attraktiv für diejenigen gewerkschaftlichen Aktivistinnen und
Aktivisten, die sich stärkere und kämpferische Gewerkschaften
wünschen. Wenn es sich DIE LINKE zur Aufgabe macht, die
kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und
Gewerkschaften zu sammeln, sie zu vernetzen und Kräfte zu bündeln
und zu vernetzen, kann wieder eine Bewegung entstehen, die den
Klassenkampf an die Stelle von Sozialpartnerschaft und
Standortpolitik setzt. Ansätze zu einer solchen widerständigen
Praxis werden punktuell immer wieder sichtbar: Die
Auseinandersetzungen von ver.di in der Berliner Charité, den
Unikliniken und im Einzelhandel in Baden-Württemberg oder der
Gebäudereinigerinnenstreik der IG BAU bieten inspirierende neue
Ansätze einer konfliktorientierten und emanzipatorischen Kampfpraxis
der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Die Erfahrungen dieser
Kolleginnen und Kollegen muss DIE LINKE bekannt machen und für eine
breitere Zuhörerschaft verallgemeinern.
9. Die Jugend! Die
Jugend! Die Jugend! DIE LINKE muss raus aus den Hinterzimmern und
dahin, wo die jungen Leute sind: An Schulen, Berufsschulen und
Universitäten.
Eines war an den Bildern
von Jean-Luc Mélenchons Wahlkampfveranstaltungen und den
Siegesfeiern nach dem Erfolg von Syriza in Griechenland auffällig -
die Zahl von jungen Leuten, die sich für diese Projekte begeistern
können. Das hat objektive Ursachen: Die junge Generation kennt den
sozialstaatlich regulierten Kapitalismus nur noch aus den Erzählungen
ihrer Eltern - ihre Realität ist ein Krisenkapitalismus mit
erheblichen Legitimationsproblemen, persönlich prekäre Verhältnisse
und Zukunftsangst. Antikapitalistische Milieus sind entstanden, die
in Deutschland den Kern der letzten Bewegungen ausgemacht haben - sei
es gegen die Atomkraft oder bei Occupy. DIE LINKE braucht diese
jungen Menschen..
Das erfordert zweierlei:
Junge Menschen, die etwas verändern wollen, brauchen die Partei als
Instrument, diese Veränderung kollektiv zu organisieren. Sie wollen
nicht in endlose Debatten gezogen werden, in denen die
Listenaufstellung für die nächste Kommunalwahl wichtiger ist als
die nächste Demonstration gegen Mieterhöhungen. Die nach innen
gewendete Kultur der LINKEN verlangt frisch Politisierten momentan zu
viel Zeit und Nerven ab. Eine Außenwendung unserer Partei ist aber
die Grundvoraussetzung für die Verjüngung und Auffrischung der
LINKEN, die neuen Kräfte können dann wiederum die Außenwendung
tragen und stabilisieren.
Dazu muss DIE LINKE aber
raus aus den Hinterzimmern und dahin, wo die jungen Leute sind: An
Schulen, Berufsschulen und Universitäten. Unser Jugend- und
Studierendenverband hat es zumindest teilweise geschafft,
Aktivistinnen und Aktivisten der Bildungsstreiks und der
Occupy-Bewegung für ein radikales und bewegungsorientiertes
Parteiprojekt zu gewinnen. Die bröckelnde Basis der LINKEN zu
verbreitern und mehr junge Aktive zu gewinnen, kann aber nicht
alleine auf die Linksjugend oder den SDS abgeschoben werden - sie
ist für DIE LINKE insgesamt eine Überlebensfrage. Deswegen sollte
sich die gesamte Partei in Richtung dieser antikapitalistischen
Milieus öffnen. LINKE-Veranstaltungen an Unis, Engagement in
Bewegungen wie Occupy, die junge Menschen anziehen und ein klares
antikapitalistisches Profil haben, können die Partei für jüngere
Generationen attraktiv machen und substanziell verstärken. Eine
begrüßenswerter Schritt in diese Richtung ist der geplante "Kapitalismus vs. Demokratie-Kongress" von Die Linke.SDS vom
30.11. bis 2.12. in Köln. Wenn wir nach den verlorenen Landtagswahlen in
Ost und West wieder auf die Beine kommen und linke Jugendliche für
DIE LINKE begeistern wollen, müssen solche Initiativen von der
gesamten Partei unterstützt werden.
10. Die Probleme der
Partei sind flügelübergreifend - die Verschiebung
innerparteilicher Kräfteverhältnisse alleine wird sie nicht lösen.
In der LINKEN ist es
mittlerweile üblich, alle Diskussionen durch das Prisma der
Flügelauseinandersetzungen zu betrachten. Darunter hat nicht nur die
politische Kultur, sondern die Parteiarbeit insgesamt gelitten.
Dietmar Bartsch erklärte nach den Wahlen in Schleswig-Holstein, die
gleichzeitig mit erfolgreichen kommunalen Stichwahlen in Thüringen
stattfanden, dass "politische Bündnisse meist eher Erfolge
zeitigen als das Wir-Gegen-Alle." Diese Rechnung geht nicht auf.
Die Politik, wie sie in den Regierungsbeteiligungen in Berlin und
Brandenburg gemacht wurde, war für DIE LINKE nicht zielführend.
Inzwischen mussten selbst die Verantwortlichen in Berlin einräumen,
das die Jahre als Juniorpartner der SPD die Partei politisch
profillos und organisatorisch zerrüttet zurückgelassen haben.
Nur: Die wesentlichen
Probleme der Partei, nämlich Fixierung auf Parlamente, ein
überwiegend passives/begleitendes Verhältnis zu Kämpfen,
Bewegungen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, der Glaube an
die Kraft von Programm, Deklarationen und Resolutionen, der mangelnde
Fokus auf starke, verankerte Basisstrukturen und die fehlende
Orientierung auf jugendliche antikapitalistische Milieus sind
keineswegs das Monopol eines bestimmten Parteiflügels. Sie finden
sich ebenso auf der Parteilinken. Auch hier werden die Kräfte im
Wesentlichen auf innerparteiliche Auseinandersetzungen gerichtet. So
wichtig die Verabschiedung des Programms in Erfurt war: Der Wurm in
der Partei sitzt wesentlich tiefer. Offensichtlich hat die
Verabschiedung eines klar antikapitalistischen und vom linken Flügel
geprägten Parteiprogramms den Niedergang der Partei nicht
aufgehalten. Auch "linke" Landesverbände haben herbe
Wahlschlappen eingefahren und Mitglieder verloren. Deshalb muss auch
die Parteilinke sich ernsthaft mit Strategien für eine Außenwendung
beschäftigen und sich nicht in Auseinanderersetzungen um
Personaltableaus erschöpfen.
11. Der Ruf nach der
Rückkehr Oskar Lafontaines ist kein Ersatz für die Debatte um eine
neue Orientierung der Partei.
Jean-Luc Mélenchon hat
gezeigt, wie eine Frontfigur, welche scharf gegen die herrschende
Politik auftritt und polarisiert, eine politische Kraft nach vorne
reißen kann. Offensichtlich ist Oskar Lafontaine die Person in der
LINKEN, die diese Rolle am besten ausfüllen kann. Von daher ist
seine Rückkehr an die Parteispitze absolut wünschenswert. Er kann
Menschen mobilisieren, motivieren und begeistern, und er steht als
Person für ein klares Profil und ein politisches Kurshalten.
Aber: Bei Oskar
Lafontaine kann man nicht Mitglied werden, man wird es bei der
LINKEN. Egal wie gut das Spitzenpersonal ist, kollektiv wirksam
werden Unterstützer der LINKEN in den Strukturen, die sie vorfinden.
Der "Oskar-Effekt" kann Stimmen generieren und DIE LINKE
profilieren - er baut aber alleine keine nachhaltigen Strukturen
auf und verankert DIE LINKE auch nicht in gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen. Auch in Frankreich ist die Frage nicht gelöst,
wie die Popularität Mélenchons in eine stärkere Partei umzumünzen
ist- seine Parti de Gauche ist mit 11.000 Mitgliedern nach wie vor
eine sehr kleine Kraft.
12. DIE LINKE kann aus
ihrer Krise stärker hervorgehen, wenn sie die richtigen
Schlussfolgerungen zieht - die Planstelle des Motors sozialer
Bewegung ist in Deutschland nach wie vor unbesetzt.
Trotz schlechter
Wahlergebnisse: Wir stehen keineswegs vor dem Untergang. Parteien
haben Krisen, ein Zyklus von Aufstieg, Niedergang und im besten Falle
Wiederaufstieg ist normal. Die jetzt bejubelte griechische Syriza ist
dafür ein Paradebeispiel. Vor den Wahlen 2009 biederte sie sich bei
der sozialdemokratischen Pasok an - mit katastrophalen Ergebnissen:
die Pasok legte um 5,8 Prozent auf fast 44 Prozent zu, Syriza verlor
trotz massiver gesellschaftlicher Kämpfe und Generalstreiks sogar
0,5 Prozent und kam bei den Wahlen nur noch auf magere 4,6 Prozent.
Als der größte Bestandteil des Wahlbündnisses Syriza, die
Synaspismos, sich 2010 nach heftigen internen Auseinandersetzungen
spaltete, sah es so aus, als wäre die griechische Linkspartei am
Ende. Doch eine scharfe Orientierung gegen das EU-Spardikat und
Engagement in den gesellschaftlichen Konflikten machte Syriza jetzt
zur zweitstärksten Kraft, unter den Wählerinnen und Wählern aus
der städtischen Arbeiterschaft wurde sie sogar zur stärksten der
Parteien. Bei möglichen Neuwahlen im Juni werden der Partei bis zu
27 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Natürlich begünstigte die
Auflösung des alten politischen Gefüges und insbesondere der
Niedergang der griechischen Sozialdemokratie den radikalen Aufschwung
zugunsten von Syriza. Doch auch in Deutschland ist der Niedergang der
LINKEN kein von den objektiven Umständen vorgeschriebenes
Naturgesetz. Bernd Riexinger formulierte 2004, die neu entstehende
WASG müsse "Motor" sozialer Bewegungen werden. Die Planstelle
des Motors sozialer Bewegung ist in Deutschland nach wie vor
unbesetzt - die Piraten sind weder programmatisch noch
organisatorisch in der Lage, diese Funktion zu erfüllen, viele
Piratenaktivistinnen und -aktivisten sehen das auch nicht als ihre
Aufgabe. Es nützt nichts, wenn DIE LINKE auf die neue Formation
guckt wie das Kaninchen auf die Schlange - sie muss ihre eigene,
spezifische Rolle finden - die alte Rolle als Blitzableiter für
allgemeinen politischen Frust hat sich spätestens mit dem Aufstieg
der Piraten erschöpft.
13. Neustart. Der
LINKEN kann über 2013 hinaus ein zweiter Aufbruch gelingen.
Nach den Wahlen in
Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen benötigt DIE LINKE
eine ernsthafte Debatte darüber und Analyse davor, was schief
gelaufen ist. Schuldzuweisungen werden die Partei nicht in die
Offensive bringen. Neben einer ehrlichen Ursachenforschung sind
vielmehr praktische Rezepte gefragt, wie sich denn DIE LINKE aus der
derzeitigen Misere realistisch befreien kann. Die Ansatzpunkte und
Aktionsfelder für die Partei sind da: Obwohl die Krise in
Deutschland bislang nicht wie in anderen Ländern eingeschlagen hat,
finden auch hier viele soziale Kämpfe statt, in die sich DIE LINKE
einmischen kann. Die Austeritätspolitik der Bundesregierung, der
Fiskalpakt und die Aushebelung der Demokratien in Europa schreiten
mit immer schnelleren Schritten voran und werden auch die politischen
Koordinaten über die Bundestagswahl hinaus bestimmen. Eine starke
und widerständige Partei links von der SPD wird gebraucht und ist
für die kommenden Auseinandersetzungen unerlässlich. Es zeigen sich
hoffnungsvolle Ansätze einer kämpferischen Erneuerung innerhalb der
Gewerkschaftsbewegung. DIE LINKE kann diese Entwicklung aktiv
vorantreiben und für viele neue gewerkschaftliche Aktivistinnen und
Aktivisten relevant werden. Wenn DIE LINKE es außerdem schafft, sich
wie bei den erfolgreichen Mobilisierungen gegen die Naziaufmärsche
in Dresden auf einzelne Kampagnenschwerpunkte zu konzentrieren und
diese dann auch als Gesamtpartei mit all ihren Ressourcen umzusetzen,
wird sie in Zukunft erfolgreicher sein. Öffnet sich DIE LINKE für
Occupy-Bewegte und die neu entstandenen antikapitalistischen Milieus
und formuliert sie attraktive Angebote für Jugendliche und
Studierende, kann sie neue Kraft tanken. Die derzeitige Situation ist
alles andere als einfach. Der beeindruckende Aktivitätsgrad bei den
vergangenen Wahlkämpfen und das tolle Engagement unserer nimmermüden
Mitglieder weist aber auf die Potenziale, die in unserer Partei
schlummern. Um diese zu entfalten, muss DIE LINKE zum Neustart
bereit sein.
Zum Text:
Das marx21-Netzwerk möchte mit dem Thesenpapier einen Beitrag zu einer offenen, ehrlichen und
grundsätzlichen Strategiedebatte leisten. Wir freuen uns über
Reaktionen auf dieses Thesenpapier und laden Dich zu einer
gemeinsamen Diskussion ein. Die gute Gelegenheit dafür ist der von marx21 ausgerichtete Kongress "MARX IS MUSS 2012" vom 7. bis 10. Juni in
Berlin. Hier wollen wir fundamentale Strategiedebatten der Linken
führen.
Vor 291 Jahren: Breffu: eine Sklavin, eine Rebellin, eine Kämpferin - und
eine Frau, die in der Geschichte fast unsichtbar ist
-
Breffu, genannt „Königin von St. John“, war eine Anführerin des Aufstands
der Sklaven von 1733 auf St. John, einer kleinen Karibikinsel, die bereits
1718 v...
vor 5 Stunden