An den Anti-Atom-Protesten in
Brokdorf haben sich weniger beteiligt als erwartet. Das liegt auch
daran, dass Grüne und SPD Zustimmung zum angeblichen »Atomausstieg«
der Bundesregierung signalisieren. Doch dieser ist weder unumkehrbar
noch leitet er eine ökologische Energiewende ein. Pickelhering über
den Erfolg der Anti-AKW-Bewegung, die Fallstricke des
Regierungsbeschlusses und das Umfallen von Grünen und SPD
Am
Wochenende beteiligten sich etwa 250 Atomkraftgegner an der Blockade
des AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein. Damit haben sich weniger
Aktivisten beteiligt als erwartet. Gründe für die geringe
Beteiligung liegen einerseits im Erfolg der Bewegung: Seit dem
Regierungsantritt von Union und FDP hat die Anti-Atombewegung nicht
locker gelassen und Massen auf die Straße gebracht. Nach dem Gau in
Fukushima geriet die Regierung weiter unter Druck. Doch zunächst
wollte Kanzlerin Merkel mit dem Moratorium, welches die dreimonatige
Abschaltung von sieben älteren AKW vorsah, nur Zeit gewinnen.
AKW-Abschaltungen wegen Massenprotesten
Dass
alle Moratoriums-Meiler plus das AKW Krümmel auch nach dem
Moratorium alle abgeschaltet bleiben würden, stand zu Beginn
keineswegs fest. Das ist ausschließlich ein Erfolg nochmals
verstärkter Aktivitäten der Anti-Atombewegung.
Während des
Moratoriums fanden die größten Protesten in der Geschichte der
Anti-Atom-Bewegung statt: Am 26. März demonstrierten 250.000
Menschen in vier Städten, am 25. April gingen 140.000 an den
AKW-Standorten auf die Straße, am 28. Mai beteiligten sich 160.000
Atomkraftgegner an Demonstrationen in 21 Städten. Und dazwischen
beteiligten sich Zehntausende jeden Montag an Mahnwachen in mehr als
400 Orten.
Grüne und SPD fallen um
Der zweite
Grund für die geringere Beteiligung liegt im derzeitigen Kurs der
Grünen und der SPD. Beide Parteien haben seit dem Regierungsantritt
von Schwarz-Gelb immer wieder ihre Mitglieder und Wähler zu
Anti-Atomprotesten mobilisiert. Das hatte die Proteste größer
werden lassen.
Doch nun zeichnet sich ab, dass die Grünen
dem so genannten »Atomaustiegsbeschluss« der Bundesregierung
zustimmen werden. Das sieht ein Leitanrag der Parteispitze vor, über
den auf einem Parteitag am 25. Juni entschieden werden soll. Auch
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier signalisierte Zustimmung
zum Regierungsbeschluss. Dieser Kurs wirkt demobilisierend für
weitere Anti-Atom-Proteste.
Dabei gibt es keinerlei Garantie,
dass der Regierunsgbeschluss wirklich zu einer Energiewende führt.
Er ist sogar deutlich schlechter als der im Juni 2000 beschlossene
rot-grüne »Atomkonsens« und verschleppt einen Atomausstieg
unnötig.
Mehrheit für schnellen Ausstieg
56
Prozent der Bevölkerung wollen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage
für das Magazin »Stern«, dass alle AKWs sofort (12 Prozent) oder
spätestens in fünf Jahren (44 Prozent) abgeschaltet werden.
Diejenigen, die Kernkraft dauerhaft für unverzichtbar halten (16
Prozent) sind eine Minderheit. Für eine Laufzeit bis zu 22 Jahren
sind laut Umfrage 25 Prozent. Angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse
ist die Behauptung führender Grüner, sich mit einer Ablehnung des
Regierungsbeschlusses zu isolieren, haltlos. Dass die Partei nicht an
ihrer Ankündigung festhält, bis 2017 aus der Kernkraft aussteigen
zu wollen, liegt daran, dass sie Koalitionen mit der Union nicht
ausschließt. Sie will »Regierungsfähigkeit« demonstrieren und
opfert dafür einen schnellen Atomausstieg.
Entsprechend
verärgert ist der Kern der Anti-Atom-Bewegung. »Die Grünen geben
ohne Not Positionen auf, die sie noch bis vor wenigen Wochen
vertreten haben. Wer einem Weiterbetrieb der Reaktoren bis 2022,
einem AKW im Stand-by-Betrieb und reduzierten
Sicherheitsanforderungen zustimmt, verliert seine Glaubwürdigkeit
und kann sich nicht mehr Teil der Anti-Atom-Bewegung nennen«,
erklärte Jochen Stay, Sprecher des Anti-Atom-Netzwerkes
.ausgestrahlt. »Stimmen die Grünen mit `Ja`, dann legitimieren sie
beispielsweise den Weiterbetrieb des AKW Gundremmingen C bis 2021,
obwohl es sich um einen störanfälligen Siedewasserreaktor wie in
Fukushima handelt. Außerdem werden nach dem Merkelschen Atomgesetz
nur zwei von neun Meiler bis 2017 abgeschaltet, was nach bisheriger
grüner Beschlusslage allerspätestes Ausstiegsdatum sein sollte«,
kritisierte Stay.
Merkels Atom-Mogelei
Für
solche Kritik gibt es gute Gründe: Zunächst hatte Schwarz-Gelb Ende
Mai einen Fahrplan für einen angeblichen Atomausstieg präsentiert,
der die Abschaltung des nächsten AKWs erst für das Jahr 2021 vorsah
- eine Mogelpackung, die allzu offensichtlich der Beruhigung der
Öffentlichkeit diente.
Nur wenige Tage später veränderte
die Regierung ihr Konzept leicht. Es sieht nun vor, dass drei der
neun Kernkraftwerke, die noch am Netz sind, bereits vor dem Jahr 2021
abgeschaltet werden sollen (Grafenrheinfeld im Jahr 2015,
Grundremmingen B im Jahr 2017 und Philippsburg II im Jahr 2019).
Weitere drei Kernkraftwerke sollen im Jahr 2021, die letzten drei im
Jahr 2022 abgeschaltet werden.
Doch trotz dieser Änderung
bleibt der Atomausstiegsbeschluss eine Täuschung der Öffentlichkeit,
weil er erstens keine Energiewende einleitet und zweitens einen
unumkehrbaren Ausstieg aus der Kernkraft nicht garantiert.
Entsprechend scharf kritiseren Umweltverbände und
Anti-Atom-Organisationen den Regierungsbeschluss.
»Merkels
Ausstieg bis 2022 ist ein Ausstieg im Schneckentempo. Es gibt keinen
vernünftigen Grund dafür, die verbleibenden neun Reaktoren noch bis
zu elf Jahre lang laufen zu lassen«, erklärte Tobias Münchmeyer,
Energie-Experte bei Greenpeace: »Jeder Tag Atomkraft ist einer zu
viel.«
»Hinzu kommen die wachsenden Atommüllberge, für
die es bis heute kein Endlager gibt«, sagte Hubert Weiger,
Vorsitzender des »Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland«
(BUND). Der Umweltverband appellierte an die Oppositionsparteien, den
Regierungsbeschluss nicht mitzutragen. »Wir können und müssen
schneller aussteigen, es darf keinen faulen Kompromiss zu Lasten der
Sicherheit der Bevölkerung geben«, so Weiger.
Keine
Garantie für Atomausstieg
Nach dem Scheitern des
rot-grünen »Atomkompromisses« gibt es in der Tat keinen Grund,
anzunehmen, dass ein Ausstieg unter Schwarz-Gelb unumkehrbar sei.
»Für uns zählen nur stillgelegte Atomkraftwerke, nicht die
Ankündigung von Abschalt-Terminen, von denen heute niemand sagen
kann, ob sie auch eingehalten werden«, sagte Jochen Stay, Sprecher
des Anti-Atom-Netzwerkes .ausgestrahlt: »Deshalb werden wir das Aus
von sieben bis acht Meilern feiern und gegen den Weiterbetrieb der
neun anderen AKW weiter auf die Straße gehen«. Stay wies darauf
hin, dass bis zur Stilllegung der letzten AKWs noch drei
Bundestagswahlen stattfinden. »Unumkehrbarkeit sieht anders aus«,
kritisierte Stay.
Eine Lücke im Beschluss ist die
Übertragung von so genannten Reststrommengen von alten auf neue
AKWs. Dabei wird jedem Kernkraftwerk eine Menge an Strom
zugesprochen, die es bis zu seiner Abschaltung produzieren darf. Wird
diese Menge nicht erreicht, kann sie auf ein anderes AKW übertragen
werden, dass dann mehr als vorgesehen produzieren darf. Diese Lücke
hat schon der rot-grüne »Atomkonsens« enthalten - mit dem
Ergebnis, dass die Energiekonzerne erfolgreich Abschaltungen
verhindern konnten, in dem sie ihre Meiler nicht voll auslasteten.
Die dadurch entstehende Verzögerung hat bis zum Regierungsantritt
von Schwarz-Gelb gereicht - und der damaligen Entscheidung von Union
und FDP, die Laufzeiten zu verlängern.
Hintertür für
Klagen der Konzerne
Auch jetzt wieder spielen die
Energiekonzerne mit demselben Trick auf Zeit. RWE-Chef Großmann
erklärte, dass die Regierung damit rechne, dass alle Reststrommengen
aufgebraucht werden können. Laut Großmann sei dies aber nur der
Fall, wenn alle AKWs zu 91 Prozent ausgelastet seien. Realistisch sei
hingegen nur eine Auslastung von 85 Prozent.
In anderen
Worten: Ist das Abschaltdatum eines AKWs erreicht, wird
wahrscheinlich noch eine Reststrommenge übrig sein. Da diese den
Stromproduzenten garantiert ist, können dieAKW-Betreiber einfordern,
diese auch aufzubrauchen. Das würde darauf hinauslaufen, das
Abschalten von AKWs hinauszuschieben - und damit den Atomausstieg zu
gefährden.
Hindernisse für eine Energiewende
Wie
wackelig der Regierungsbeschluss ist, wird allerdings erst im
Zusammenhang mit anderen Beschlüssen des Bundeskabinettes deutlich:
»Trotz der Stilllegung mehrerer Atommeiler soll der Anteil der
erneuerbaren Energien in Deutschland bis 2020 lediglich soweit erhöht
werden, wie dies schon vor dem Ausstieg geplant war. Dieses Ziel
reicht nicht aus«, krisisierte der BUND. Das
Erneuerbare-Energien-Gesetz müsse sich das Ziel von mindestens 45
Prozent Erneuerbarer Energien bis 2020 setzen, fordert der
Umweltverband.
Erforderlich sei ein entschlossener Ausbau von
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zur gleichzeitigen Erzeugung von Strom
und Wärme sowie einer dezentralen Stromversorgung unter anderem mit
Windenergieparks in Bürgerhand. Die Energiepolitik in Deutschland
dürfe nicht darauf hinauslaufen, erneut vor allem Großstrukturen zu
fördern. Denn eine zentralisierte Energieversorgung bedeutet, die
Macht bei genau den vier großen Energieversorgern zu belassen, die
bisher jede Energiewende blockiert haben - und diese Macht benutzen,
um Verbrauchern Strompreise zu diktieren.
Der BUND fordert
zudem ein Sofortprogramm für mehr Stromeffizienz. Denn ohne ein
klares Konzept zur Energieeinsparung wird der Umstieg auf erneuerbare
Energien erschwert.
Kohlekraft für den Atomausstieg?
»Der
Klimaschutz verbietet den Zubau von Kohlekraftwerken und der
notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien braucht schnell flexible
Gaskraftwerke. Die Bundesregierung muss endlich im Sinne des
Klimaschutzes handeln und den Neubau von Kohlekraftwerken verbieten,
sagte Weiger. Doch Schwarz-Gelb setzt weiterhin unbeirrt auf die
klimaschädliche Kohlekraft - in Form von Großkraftwerken, die sich
ebenfalls in der Hand der großen vier Energiekonzerne befinden, die
den deutschen Strommarkt kontrollieren.
Genau wie
Atomkraftwerke blockieren diese Kraftwerke aber den Umstieg auf
erneuerbare Energien. Erstens sind sie unflexibel, weil sie sich
nicht schnell hoch- und herunterfahren lassen. Sie »verstopfen«
damit die Stromnetze – mit der Folge, dass nicht so viel Strom aus
erneuerbaren Quellen in die Netze eingespeist werden kann, wie
möglich wäre. Zweitens sind solche Großkraftwerke auf 30 bis 40
Jahre projektiert. In anderen Worten: Sind sie einmal gebaut, wird
kein Betreiber akzeptieren, dass ein solches Kraftwerk vor Ende
dieses Zeitraumes abgeschaltet wird. Damit drohen bei der Stillegung
von Kohlekraftwerken genau dieselben Auseinandersetzungen wie bei
Atomkraftwerken.
Die Verbraucher werden für das Festhalten
an den bisherigen Strukturen des Energiesystems – vier
Energiekonzerne haben das Sagen – zudem durch steigende Strompreise
büßen müssen.
Wenn Grüne und SPD dem Regierungsbeschluss
zustimmen, beweisen sie damit nicht politischen Realitätssinn,
sondern nur, dass auf sie kein Verlass ist. Wer eine tatsächliche
Energiewende will, wird weiterhin dafür auf die Straßem gehen
müssen.