Anfang der Woche legte die Reaktorsicherheitskommission ihren Bericht vor. Die hessische Landtagsabgeordnete Janine Wissler (LINKE) wirft ihr vor, sich wegzuducken
und fordert klare Ansagen zum Atomausstieg. Ihre Rede im Wortlaut
"Herr Präsident, meine Damen und
Herren,
drei CDU-Generalsekretäre haben ein
schlechtes Papier zur Energiepolitik vorgelegt. Das ist an sich
nichts Ungewöhnliches. In diesem Fall aber handelt es sich nicht nur
um einen falschen Inhalt, sondern auch um ein schlechtes
Veröffentlichungsdatum. So macht die CDU den angeblich
ergebnisoffenen Energiegipfel endgültig zur Farce. Denn wenn dieses
Papier die Position der hessischen CDU und ihres Vorsitzenden, des
Herrn Ministerpräsidenten, darstellt, können wir den Energiegipfel
heute beerdigen. Viele Menschen - uns eingeschlossen - werden
sich dann überlegen, ob sie ihre kostbare Lebenszeit weiter dafür
opfern, an einem Energiegipfel mitzuarbeiten, der ein Feigenblatt und
eine reine Alibi-Veranstaltung darstellt, für eine Landesregierung
und eine parlamentarische Mehrheit, die gar kein Interesse an neuen
Erkenntnissen hat.
Herr Ministerpräsident, dazu würden
wir heute gerne eine Erklärung von Ihnen hören: Wollen Sie mit dem
Energiegipfel nur Aktivität vortäuschen oder sind Sie ernsthaft an
Ergebnissen orientiert?
Reaktorsicherheitskommission
Gestern hat die
Reaktorsicherheitskommission ihren Bericht vorgelegt. Der Bericht ist
eine Farce, wie das ganze sogenannte Moratorium.
Dass Biblis nicht gegen
Flugzeugabstürze zu sichern ist, ist seit langem bekannt. Und in
einer solch kurzen Zeitspanne konnten überhaupt keine seriösen
Prüfungen stattfinden. Deshalb spricht die atomkritische
Ärzteorganisation IPPNW auch von einer »freundlichen
Betreiberbefragung«.
Denn der Stresstest bedeutet nicht
etwa, dass die Prüfer sich selbst ein Bild machen. Sie erarbeiten
Fragebögen, die von den Kraftwerksbetreibern selbst beantwortet
werden. Das muss man sich mal vorstellen: Jeder Autofahrer muss mit
seinem PKW regelmäßig beim TÜV vorfahren, aber bei Atomkraftwerken
lässt man zu, dass die Betreiber selbst eine Mängelliste erstellen,
ohne dass unabhängige Sachverständige die Angaben überprüfen.
Wenn ein Auto nicht über den TÜV kommt, wird es stillgelegt.
Aber die Reaktorsicherheitskommission
drückt sich um eine klare Aussage. Biblis werden gravierende
Sicherheitsmängel bescheinigt, eine klare Empfehlung zur Stilllegung
gibt die Kommission nicht.
Biblis A und B dürfen auch nach Ende
des Moratoriums nicht wieder ans Netz gehen. Herr Ministerpräsident,
erklären Sie hier und heute, dass die Landesregierung ein
Wiederanfahren von Biblis nicht zulassen wird. Klare Ansagen sind
nötig und nicht weiter Wegducken und Rumeiern.
Papier
Und Herr Ministerpräsident, es wäre
interessant zu wissen, ob Sie inhaltlich hinter den Aussagen Ihres
Generalsekretärs in dem Papier stehen.
Darin ist zu lesen, dass es sich
verbiete, die Energiepolitik der nächsten 30 Jahre von der
»emotionalen Energiedebatte« und »den Stimmungen« im Frühjahr
des Jahres 2011 abhängig zu machen. Herr Beuth, was wir im Frühjahr
2011 erleben, sind keine diffusen Stimmungen sondern ein Super-GAU.
Und zwar der zweite innerhalb von 25
Jahren. Die Katastrophe von Fukushima und die berechtigten Sorgen der
Menschen derart zu verniedlichen und als »Stimmungen« abzutun,
zeigt, dass Sie noch immer herzlich wenig begriffen haben.
Stattdessen schreiben Sie: Ein
verfrühter Ausstieg führe zu einer Abhängigkeit von Importen aus
dem Ausland. Erstens, Herr Beuth, gibt es keinen verfrühten Ausstieg
aus der Atomkraft. Selbst ein sofortiger Ausstieg käme um Jahrzehnte
zu spät.
Und die Drohkulisse von der
Importabhängigkeit ist auch nicht haltbar: In Deutschland werden
weder Uran noch Steinkohle abgebaut, beides wird importiert, um Atom-
und Kohlekraftwerke zu betreiben. Unabhängig von Energieimporten zu
sein, hieße auf die Energieträger zu setzen, die überall vorhanden
sind: nämlich Wind, Sonne, Wasser und Biomasse.
Sie wollen kein verbindliches
Ausstiegsdatum festlegen, aber schwadronieren über die Verantwortung
gegenüber den kommenden Generationen. Sie lassen also zu, dass die
Atomkonzerne Tag für Tag neuen hochradioaktiven Müll produzieren,
den kommende Generationen auf Jahrtausende sicher verwahren müssen.
Dabei gibt es bis heute kein Endlager,
Asse und Gorleben stehen als Synonyme für das Desaster der
Atommülllagerung.
Bezahlbare Energie
Sie verweisen auf die Energiepreise:
Die Union werde nicht zulassen, dass Strom zum Luxusgut werde, der
Ausbau der Erneuerbaren Energien dürfe keine neue soziale Frage nach
sich ziehen. Dabei ist Energieversorgung bereits heute eine soziale
Frage. Viele Menschen frieren im Winter in ihren Wohnungen, weil sie
ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können, etwa 840.000 Abklemmungen
gibt es in Deutschland pro Jahr. Das ist Energiearmut in Deutschland.
Und warum sind denn die Preise so hoch? Weil die Energiemonopole die
Stromkunden unkontrolliert abzocken können.
Bis vor wenigen Jahren gab es noch eine
staatliche Energiepreisaufsicht, die im Zuge der Liberalisierung
abgeschafft wurde. Ohne Sozialtarife und eine wirksame staatliche
Strompreiskontrolle, werden die Konzerne die Energiepreise als
Erpressungsinstrument nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen, und
zwar unabhängig von ihren realen Kosten.
Netze
Sie schreiben, Deutschland müsse das
Stromnetz ausbauen, damit mehr Windstrom aus Norddeutschland nach
Süddeutschland transportiert werden kann. Aber warum eigentlich?
Warum sollen wir Windenergie quer durch Deutschland transportieren,
wenn Windenergie genauso vor Ort gewonnen werden kann?
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts
für Windenergie und Energiesystemtechnik kurz IWES kommt in einer
aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass das Windenergiepotential
gerade in den Bundesländern am größten ist, in denen die Windkraft
bisher am wenigsten ausgebaut ist.
Demnach hat Bayern das größte
Potential und an dritter Stelle folgt Baden-Württemberg. Würde in
Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen das Potential an
Windkraft endlich genutzt, wäre der immer wieder angedrohte massive
Netzausbau überflüssig. Aber statt vor Ort zu handeln und vor Ort
Erneuerbare Energien auszubauen, bauen Sie den Netzausbau als neuen
Popanz auf, um die Energiewende zu verschleppen.
Große Vier
Wer den vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien will, muss die Macht der Großen Vier brechen.
Das demonstriert RWE tagtäglich. Erst vor wenigen Tagen hat RWE
angekündigt nach Ende des Moratoriums Block B wieder anfahren zu
wollen. Erst tauscht RWE die Brennstäbe in Biblis früher aus als
nötig, um die neue Brennelementesteuer zu umgehen, und jetzt soll
genau das als Begründung dienen, dass der Reaktor länger laufen
muss. Ein Atomkraftwerk aus Sicherheitsgründen länger laufen zu
lassen - auf die Idee muss man erst mal kommen. Das Vorgehen von
RWE ist dreist und eine nicht hinnehmbare Provokation. Es ist höchste
Zeit, dass dieser Konzern in seine Schranken gewiesen wird.
Auch eine aktuelle Studie des Instituts
für ökologische Wirtschaftsforschung, die im Auftrag von Greenpeace
erstellt wurde, kommt zum Ergebnis, dass die großen Energiekonzerne
den Umstieg auf Erneuerbare systematisch blockieren. Nun werden Sie
sagen, dass diesen fundamentalistischen Atomkraftgegner nicht zu
glauben ist. Aber das müssen Sie auch gar nicht. Es reicht, sich die
Zahlen von RWE, E.on und Co anzuschauen.
Derzeit kommen ganze 0,5 Prozent des
Stroms aus Wind, Sonne und Biomasse von den Großen Vier, obwohl die
80 Prozent des Marktes beherrschen.
Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien ist bei allen vier Konzernen von 2007 bis 2009 sogar ein
Rückgang zu verzeichnen. Nur magere 15 Prozent der Investitionen für
Forschung und Entwicklung wenden die Großen Vier durchschnittlich
für die erneuerbaren Energien auf.
So driften die wenig ambitionierten
Ziele der Bundesregierung und die der Energiekonzerne weit
auseinander. Laut Energiekonzept der Bundesregierung soll bis 2020 35
Prozent der Energie aus Erneuerbaren stammen. E.on will bis 2020
einen Anteil von 25 Prozent erreichen, EnBW 20 Prozent und RWE
lediglich 14 Prozent, also alle weit entfernt vom Ziel der
Bundesregierung. Solange die Großen Vier 80 Prozent des
Energiemarktes beherrschen, werden sich also nicht mal die moderaten
Ziele der Bundesregierung durchsetzen lassen.
Alle reden vom Energiesparen, nur die
Großen Vier nicht. Die Landesregierung hat das Ziel ausgegeben 20
Prozent Energieeinsparung bis 2020 zu erreichen. Die Konzerne wollen
das Gegenteil. Das liegt in der Natur der Sache: Wer etwas verkauft
und daran verdient, hat kein Interesse, dass davon weniger verbraucht
wird.
E.on will bis 2020 10 Prozent mehr
Strom produzieren, RWE 41 Prozent und Vattenfall sogar 54 Prozent.
Der Großteil dieser Steigerung soll durch Kohle und Atom geleistet
werden.
Das zeigt, dass die Energieversorgung
bei privaten profitorientierten Konzernen in den falschen Händen
ist. Kurzfristiges Gewinnstreben und nachhaltige Energieerzeugung
vertragen sich nicht.
Die Konzerne setzen auf Großkraftwerke,
im Bereich der Erneuerbaren setzen sie auf Offshore-Windenergie.
Natürlich sind dann die Kosten höher, wenn Windstrom auf dem Meer
statt an Land gewonnen wird. Aber der Vorteil für RWE und Co ist,
dass nur sie diese Investitionen aufbringen können. Eine
Windkraftanlage an Land kann auch ein Stadtwerk oder eine
Genossenschaft installieren, offshore hingegen sind die Großen Vier
fast konkurrenzlos.
Dezentrale Strukturen in der
Energiegewinnung können hingegen kommunale Wirtschaftskreisläufe
stärken und vor Ort Arbeitsplätze schaffen und sichern.
Gesellschaftliche Akzeptanz
CDU und FDP führen immer wieder die
angeblich fehlende gesellschaftliche Akzeptanz an, wenn es um den
Ausbau erneuerbarer Energien gibt. Das ist auch deshalb
bemerkenswert, weil Sie die Frage der Akzeptanz bei Atom- und
Kohlekraftwerken nie beeindruckt hat. In diesem Fall haben Sie immer
großzügig über gesellschaftliche Mehrheiten hinweggesehen. Aber
jetzt, wo es um die Erneuerbaren geht, verstecken Sie sich hinter
einer angeblichen Skepsis in der Bevölkerung.
Aber die Frage der Akzeptanz ist nicht
unabhängig von der Frage des Eigentums. Es ist doch ganz logisch:
Wenn mir ein großer Konzern ein Windrad in den Vorgarten stellt, von
dem ich unmittelbar keinen Nutzen sondern nur Beeinträchtigungen
habe, wäre ich auch dagegen. Vor allem, wenn das Verfahren noch dazu
intransparent ist.
Ganz anders ist es, wenn sich vor Ort
Menschen zusammensetzen und überlegen, wie sie den Umstieg auf erneuerbare Energien erreichen können und demokratisch darüber
entscheiden.
Es gibt Bürgermeister, die auf dem
Dach der Schulsporthalle eine Photovoltaikanlage installieren ließen
und der Erlös kam dem Sportangebot zu Gute. Dort gibt es kein
Akzeptanzproblem. Menschen müssen vor Ort in einem transparenten
Verfahren entscheiden können und vor allem, darf der Gewinn nicht in
die Taschen von irgendwelchen Aktionären fließen, sondern muss zum
Nutzen der Einwohner in der Kommune bleiben.
Es gibt keine Akzeptanz für die
weitere Nutzung der Atomkraft und es gibt keine Akzeptanz für die
großen Vier, die Milliardenprofite einfahren und Jahr um Jahr die
Energiepreise erhöhen. Deshalb brauchen wir einen radikalen Umbruch
in der Energiewirtschaft.
Meine Damen und Herren, der Umstieg auf erneuerbare Energien wird sich nicht im Konsens durchsetzen lassen.
Deshalb setzen wir auch keine großen Hoffnungen auf den
Energiegipfel. Wer E.on und RWE mit an den Tisch holt und mit ihnen
einen Konsens erreichen will, hat schon verloren. Wer den Ausstieg
aus der Atomkraft will, der muss bereit sein sich mit den
Atomkonzernen anzulegen. Diese schmerzliche Erfahrung haben auch SPD
und Grüne in Bezug auf ihren sogenannten Atomkonsens gemacht. Damit
Schwarz-Gelb sich nicht weiter zum Büttel der Atomkonzerne macht,
braucht es gesellschaftlichen Druck. Deshalb unterstützen wir die
bundesweiten Demonstrationen gegen Atomkraft am 28. Mai und fordern
alle Menschen auf sich in Frankfurt und an anderen Orten an den
Protesten zu beteiligen."
Die Rede als Video:
Vor 291 Jahren: Breffu: eine Sklavin, eine Rebellin, eine Kämpferin - und
eine Frau, die in der Geschichte fast unsichtbar ist
-
Breffu, genannt „Königin von St. John“, war eine Anführerin des Aufstands
der Sklaven von 1733 auf St. John, einer kleinen Karibikinsel, die bereits
1718 v...
vor 1 Stunde