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Nach dem Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak haben sich Proteste für Freiheit und bessere Lebensbedingungen in andere arabische Länder ausgeweitet. Pickelhering hat eine Übersicht zusammengestellt (mit Videos) Bahrain:
Seit Montag gehen Zehntausende in der
Haupstadt Manama auf die Straße und fordern demokratische Reformen,
Freiheit und eine Umverteilung des Reichtums des Landes, der sich in
den Händen der königlichen Familie befindet. Nachdem ein
Demonstrant erschossen worden ist, haben sich die Forderungen
nochmals erweitert. Standen bis dato Reformforderungen auf Basis des
bestehenden Regierungssystems im Vordergrund, wird nun von Teilen
der Bewegung die Absetzúng der Königsfamilie gefordert.
Ein oppositioneller Abgeordneter sagte
auf einer Demonstration, dass die Kontrolle der Ereignisse nicht
länger in den Händen der politischen Klassse liege. Hauptakteur sei
nicht länger die Regierung und auch die Parteien nicht, sondern die
Menschen. »Sie entscheiden ihre Slogans selbst und sie entscheiden,
wie weit ihre Forderungen reichen« (siehe Video).
Auf dem »Pearl Roundabout«, einem
zentralen Platz in der Haupstadt, haben die Aufständischen ihre
Version des Tahrir-Platzes errichtet. Letzterer war das Zentrum der
Revolution in Ägypten. Sie hatten auf dem »Pearl Roundabout« ihre
Zelte aufgeschlagen und angekündigt, nicht zu weichen, bis ihre
Forderungen erfüllt seien.
Doch am gestrigen Donnerstag hat das
Regime den Platz mit brutaler Gewalt geräumt. Polizeikräfte griffen
die Demonstranten an und verschossen massive Mengen an
Gummigeschossen, setzten Tränengas ein und benutzten auch scharfe
Munition. Mindestens fünf Menschen starben, viele sind schwer
verletzt worden. In den Krankenhäusern sind Ärzte und Pflegekräfte
entsetzt über das Ausmaß der Gewalt und äußerten ihre Wut über
das Regime (siehe Video).
Am heutigen Freitag versammelten sich
laut Medienberichten 15.000, um die gestern Ermordeten zu Grabe zu
tragen. Dabei wiederholten sie ihre Forderung nach einem Rücktritt
der Königsfamilie.
Die USA fürchten nun um einen
bedeutenden Verbündeten. In Bahrain befindet sich ein wichtiger
US-Militärstützpunkt. Die dort stationierte 5. Flotte soll den
ungehinderten Transport von Erdöl durch den Golf sicherstellen -
und den Iran überwachen.
Libyen:
Seit Dienstag hat die arabische
Protestbewegung Libyien erreicht. Obwohl »Sicherheitskräfte« am
Mittwoch in der Stadt El Baida Demonstrierende erschossen haben,
hatte die Bewegung für den gestrigen Donnerstag zu einem »Tag des
Zorn« gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi aufgerufen. Laut der
Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch« tötete das Regime
mindestens 24 Teilnehmer. Hunderte sind zudem verletzt worden (siehe Video).
Gaddafi kontrolliert seit über 40
Jahren das Land. Eine Gruppe von 213 Prominenten des Landes hat ihn
in einem Aufruf aufgefordert, zurückzutreten.
Nach Berichten von zwei Exilgruppen sei
die Stadt Al-Baida in der Hand der Aufständischen, berichtete das
»Handelsblatt« heute. In anderen Städten liefern sich Regimegegner
Straßenschlachten mit der Polizei. Besonders stark soll der
Widerstand in der Stadt Benghasi im Ostteil des Landes sein, der sich
benachteiligt fühlt, weil die Erlöse aus den reichen
Erdölvorkommen vor allem in den Westteil Libyens fließen würden.
Rund zwei Prozent der Weltrohölproduktion
fallen auf Libyen. Konzerne, darunter Shell und BP, haben Milliarden
Dollar investriert, um ihre Ölfelder auszubeuten. In Libyien
befinden sich die größten Reserven Afrikas.
Algerien:
Einen Tag nach dem Sturz Mubaraks
gingen am Samstag Tausende in der algerischen Hauptstadt Algier trotz
Demonstrationsverbotes auf die Straße. Am Sonntag demonstrierten in
der Stadt Annaba vorwiegend junge Algerier vor dem Gebäude der
Lokalregierung. »Wir werden demonstrieren, bis die Regierung
zurücktritt«, hieß es aus Reihen der Oppositionellen. Jeden
Samstag soll eine große Demonstration stattfinden, kündigten sie
an.
Ministerpräsident Ahmed Ouyahia hat
aufgrund der Proteste angekündigt, den seit 19 Jahren verhängten
Ausnahmezustand vor Monatsende aufzuheben. Er kündigte auch Reformen
an, um Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot zu lindern. Doch die
Opposition bleibt skeptisch und hält an ihren Protesten fest.
Jemen:
Im ärmsten arabischen Land
gibt es seit dem Sturz Mubaraks am vergangenen Freitag täglich
Proteste gegen die Regierung. Präsident Ali Abdullah Saleh hat die
Regimegegner auf die Wahlen im Jahr 2013 vertröstet. Gleichzeitig
geht das Regime gewaltsam gegen die Opposition vor und mobilisiert
seine Anhänger auf die Straße. 40 Prozent der Bevölkerung leben
von weniger als zwei US-Dollar am Tag und ein Drittel der Bevölkerung
leidet permanent an Hunger (siehe Video).
Iran:
Am Montag fanden in der Hauptstadt
Teheran und anderen Städten Solidaritätskundgebungen mit der
Protestbewegung in Ägypten statt. Demonstranten riefen »Mubarak,
Ben Ali, der nächste ist Seyyed Ali«. Gemeint ist damit der oberste
religiöse Führer und das Staatsobetrhaupt Irans, Ali Khamenei
(siehe Video).
Die iranische Regierung antwortete mit
Gewalt und ließ zahlreiche Demonstranten verhaften. Laut
Medienberichten erschossen »Sicherheitskräfte« zwei Menschen.
Außerdem forderten Minister der Regierung die Todesstrafe für zwei
Oppositionsführer.
Am Mittwoch gingen sowohl tausende
Regimegegner als auch Befürworter auf die Straße. Für den heutigen
Freitag hat die Regierung ihre Befürworter zu einer Kundgebung
aufgerufen. Dort sollen sie ihrem »Hass« gegen die Protestbewegung
Ausdruck verleihen. Für den morgigen Samstag sollen Proteste der
Regimegegner geplant sein.
Bezeichnenderweise hat sich
US-Präsident Obama ohne Zögern auf die Seite der Demokratiebewegung
gestellt. Im Falle Ägyptens war das nicht der Fall. Während das
iranische Regime der USA und auch der EU ein Dorn im Auge ist, hatten
beide mit dem ihnen verbundenen ägyptischen Despoten Mubarak jahrzehntelang kein
Problem.
Irak:
Auch im Irak ist die Protestwelle
angekommen. In der Stadt Suleimanija im kurdischen Teil des Landes
gingen Aufständische gegen die lokale Regierung vor, der sie vor
allem Korruption vorwerfen. Ihre Wut richtete sich auch gegen die
Zentrale von Massud Barzanis Partei. Barzani ist Präsidenten der
Autonomen Region Kurdistan im Irak.
Bereits seit Wochen demonstrierten in
den ärmeren südlichen Provinzen des Irak Menschen wegen der
mangelnden Versorgung mit Trinkwasser und Strom. Diese
Demonstrationen waren bisher klein, könnten sich aber zu einer
großen Bewegung entwickeln.
In beiden Landesteilen sind die
Proteste auch am heutigen Freitag fortgesetzt worden.
Irak ist insofern ein Sonderfall der
arabischen Revolte, als dass der Diktator Saddam Hussein 2003 durch
einen Krieg, begonnen von den USA, entmachtet wurde. Danach wurde das
Land von einer Koalition unter Führung der USA besetzt. Zwar wurde
die Besatzung offiziell Mitte 2009 beendet, aber noch sind 50.000
US-Soldaten im Irak stationiert. Dabei hat das US-Militär weiterhin
Einfluss auf das politische Geschehen und nimmt auch offiziell eine
»beratende« Stellung im Land selbst ein. Damit stehen die USA als Besatzungsmacht
unmittelbar in der Verantwortung.
Ägypten:
Auf dem Tahrir-Platz, dem zentralen Ort
der Revolution, feierten heute Massen den Sturz Mubaraks. Sie
versammelten sich aber auch, um das Militär an die Forderungen der
Bewegung zu erinnern (siehe Video).
Landesweit gehen zudem die Streiks weiter, die zwei Tage vor dem Sturz
Mubaraks begonnen und seitdem zugenommen haben. Zentren sind die zwei
größten Städte im Norden des Landes, Kairo und Alexandria. Aber auch im
industriell weniger entwickelten Süden gibt es Arbeitskämpfe.
An den Streiks nehmen Beschäftigte vieler Branchen teil:
Suez-Kanal-Arbeiter, Beschäftigte der Öl-, Textil-, Zement- und
Stahlindustrie, Busfahrer, Bahnarbeiter, Bankangestellte, Personal der
Krankenhäuser, Lehrer, Angestellte von staatlichen Einrichtungen,
Flughafenpersonal und Mitarbeiter der Zollabfertigung. Journalisten
organisieren sich, um Pro-Mubarak-Apologeten aus den Redaktionen zu
entfernen.
Bei den Arbeitskämpfen geht es meist um Mindestlöhne, die Entlassung
korrupter Geschäftsführer (von denen viele Mitglieder der Mubarak-Partei NDP sind) und die Umwandlung befristeter in
unbefristete Arbeitsverträge. Zudem fordern Arbeiter ehemaliger
Staatsbetriebe die Rückgängigmachung von Privatisierungen. Viele
Streikende haben zudem das Bedürfnis nach unabhängigen Gewerkschaften
und wollen regimenahe Gewerkschaftsführer loswerden.
Anmerkung:
Die Zusammenstellung erfolgte
anhand von Berichten der internationalen Presse und mit Informationen aus Blogs,
YouTube und Twitter. Hauptquelle des Materials ist »Al Jazeera
English«. Den Überblick hat Pickelhering für das Online-Magazin marx21.de erstellt.