Friedliche Zombies



Auch im sechsten Teil seiner Untoten-Saga lotet Horror-Altmeister George A. Romero die Abgründe der US-amerikanischen Gesellschaft und den Zerfall sozialen Zusammenhaltes aus. Pickelhering über den Film »Survival of the Dead«

In »Survival of the Dead« (Überleben der Toten) entwirft Romero eine Endzeitvision, die den amerikanischen Gründungsmythos beerdigt. Plum Island, der Ort des Geschehens, ist eine Insel vor der Küste des US-Bundesstaates Delaware. Sie steht als Symbol für alles, wovor die ersten Siedler aus Europa eigentlich geflohen sind: (religiöse) Intoleranz, Unfreiheit und Ausbeutung. Delaware hatte 1787 als erster Staat der 13 Kolonien die Verfassung der USA ratifiziert. Von den damit verbundenen Hoffnungen ist auf Plum Island nichts mehr übrig: Keine Spur von Unabhängigkeit oder dem Aufbau eines »Landes der unbegrenzten Möglichkeiten«. Romero packt seine Kritik in einen im Heute spielenden Zombie-Western – reichlich gespickt mit Ironie.

Mit Pistole und Bibel in den Untergang

Auf der Insel leben nur zwei Großgrundbesitzerfamilien, die O‘Flynns und die Muldoons, beide Nachkommen irischer Einwanderer. Deren Anführer, zwei rechthaberische, sturköpfige Patriarchen, sind hoffnungslos zerstritten über die Frage, wie man mit den Zombies umgehen soll, die sich seit Kurzem in den ganzen USA – und selbst auf der Insel – »vermehren«.

Der eine, Patrick O’Flynn, kennt kein Pardon und jagt jedem Wiedergänger eiskalt eine Kugel in den Kopf – was auch Untote nicht überleben. Das stößt nicht bei allen Inselbewohnern auf Verständnis, sind doch die Zombies auf Plum Island keine »Fremden« (die hier niemand duldet), sondern ehemalige Familienangehörige. Als O‘Flynn, zwei untote Kinder zu erschießen versucht, verjagen ihn die Muldoons von der Insel – auf Betreiben von O‘Flynns eigener Tochter.

Der andere, Seamus Muldoon, behauptet, dem Wort Gottes zu folgen und deshalb die auf Menschenfleisch versessene Ex-Verwandtschaft »domestizieren« zu wollen bis ein Heilmittel gefunden ist. Er legt sie in Ketten und beginnt ein entsprechendes »Training«.

Ein Gnadenakt ist dieser »fromme« Wunsch Muldoons allerdings nicht. Denn der reiche Farmer beabsichtigt, aus der Katastrophe einen geschäftlichen Vorteil zu ziehen, indem er aus den Wiederauferstandenen willige und billige Arbeitssklaven macht. Dass er mit diesem Experiment die noch Lebenden der Gefahr aussetzt, von Untoten gefressen oder infiziert zu werden, stört ihn nicht.

Doch O‘Flynn gelingt es, auf die Insel zurückzukehren. Hier setzt er alles daran, Rache zu üben und seinen Kontrahenten Muldoon zu erledigen. Jener lässt sich nicht lange bitten und ruft seine »Cowboys« zu den Waffen. Ein groteskes Bild: Auch angesichts des drohenden Untergangs der Menschheit bekriegen sich die beiden Clans.

Duell bei High Moon

Das Ableben der beiden streitsüchtigen Nachkommen der »Gründerväter« von Plum Island ist damit unvermeidlich. Und dieses zeichnet Romero in einem witzigen Duell – eine »High-Moon«-Szene, die wert ist, in die Geschichte des Horrorfilms einzugehen.

So ist es in allen Teilen der Romero-Saga: Gewöhnt an Macht und Herrschaft, entsolidarisiert durch den Alltag in einer Klassengesellschaft benötigen die Lebenden eigentlich keine Untoten, um zu sterben. Zuverlässig blasen sie sich gegenseitig das Licht aus.

Zombies kennen keine Klassen

Dagegen sind Zombies geradezu harmlos und liebenswert. Sie erscheinen tolerant und egalitär. Hautfarbe spielt keine Rolle und Klassenunterschiede existieren bei ihnen nicht. Selbst beim Fressen kommen sie ohne Rangfolge aus. Dass Zombies sich nicht bekriegen, ist auch der Hauptgrund, warum sie in Romeros Filmen nach und nach die Menschen verdrängen.

Mitleid mit dem arg in Bedrängnis geratenen Homo »sapiens« will beim Zuschauer deshalb nicht so recht aufkommen. Eher wünscht man den Zombies guten Appetit. Dabei deutet Romero in seinen Filmen immer wieder an, dass eine Koexistenz von Untoten und Lebenden durchaus möglich wäre. Doch Letztere verspielen jede sich bietende Chance.

Linksliberaler Splatter

Dass Splatter auch linksliberal sein kann, hat Romero mehrfach bewiesen. Sein Erstling »Night of the Living Dead« (Die Nacht der lebenden Toten), mitten im Vietnamkrieg 1968 entstanden, ist eine Anklage gegen Rassismus und Militarismus. Der Film hat den Sprung vom Kult zum Klassiker geschafft und ist in die Filmsammlung des Museum of Modern Art aufgenommen worden.

Im zweiten Teil («Dawn of the Dead« - deutscher Titel: Zombie) kritisiert Romero die Konsumgesellschaft, im dritten («Day of the Dead« - Zombie 2), auf dem Höhepunkt des Wettrüstens zwischen den USA und der UdSSR, das Militär.

Esst die Reichen

Mit »Land of the Dead«, dem vierten Teil aus dem Jahr 2005, hat Romero seinen Frust über die Bush-Administration verfilmt. Thema ist die wachsende Schere zwischen Arm und Reich. Drei Jahre nach Ausbruch der Zombie-Epidemie leben die letzten Menschen in einer befestigten Stadt. Während sich wenige Reiche in einem luxuriösen Hochhaus verschanzt haben und eine eigene Polizei besitzen, muss die Mehrheit in Slums ums Überleben kämpfen. Kontrolliert wird dieses »Refugium« von dem skrupellosen Bürgermeister Kaufman, der die Stadt führt wie einen Konzern. Er schickt regelmäßig seine Leute aus, um außerhalb der Stadt Lebensmittel und Güter für die Reichen zu besorgen. Dabei töten die Söldner zahlreiche Zombies, obwohl diese keine Gefahr darstellen.

Es sei kein Zufall, dass die Untoten wie Obdachlose angezogen seien, sagte Romero in einem Interview. In »Land of the Dead« stehen sie auf der untersten sozialen Stufe und werden von Menschen terrorisiert.

Letzlich schließen sie sich unter Führung des Zombie »Big Daddy« zusammen, um das Hochhaus der Reichen zu stürmen und diese – natürlich – aufzuessen.

Hatte Romero in »Day of the Dead« unserer schlecht durchbluteten Artverwandtschaft bereits die Fähigkeit gegeben, zu lernen, so sind sie in »Land of the Dead« sogar in der Lage, sich zu organisieren.

In »Diary of the Dead«, dem fünften Teil, nimmt er das sinnentleerte Infotainment einer Mediengesellschaft aufs Korn, die zwar viele Informationen zugänglich macht, aber nur wenig Erkenntnis produziert. Alles wird gefilmt und ins Internet gestellt, aber keiner weiß wirklich, was geschieht. Neue Medien wie Blogs enthalten dabei für Romero nicht weniger Manipulation und Sensationsgier wie die "Mainstreammedien". 

Der nun erschienene »Survival of the Dead« ist sehenswert, wirkt aber blass gegen andere Teile der Saga. Viele Gags sind platt und es mangelt nicht an plumpen Charakteren. Aber Romero liefert dennoch einen Film, der anderen des Genres überlegen ist.

Dabei sollte man allerdings trotz aller gesellschaftskritischen Elemente keine ausgefeilte Analyse erwarten. Denn einen Widerspruch kann auch ein so solider filmischer Handwerker wie Romero nicht lösen: Mit den Mitteln des auf Gewalt angewiesenen Zombiefilms lässt sich der reale Horror im Kapitalismus nur schwer kritisieren.

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