150.000 haben am Samstag gegen schwarz-gelbe Atompolitik demonstriert, so viele wie seit den 70er Jahren nicht mehr. Dieser große Erfolg ist nicht nur ein verdienter Schlag ins Gesicht für Schwarz-Gelb, sondern auch eine Herausforderung für die Anti-Atom-Bewegung, meint Pickelhering.

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Es war nicht nur eine massenhafte Abstimmung gegen Atomkraft, sondern auch gegen Schwarz-Gelb: 150.000 sind gegen den Regierungsplan auf die Straße gegangen, den Energiekonzernen durch Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke weiter die Möglichkeit zu geben, hohe Profite auf Kosten der Stromverbraucher und zu Lasten der Umwelt zu machen. Gewerkschaften und andere Bewegungen können aus dem Erfolg lernen: So schmiedet man Sargnägel für die neoliberale Regierungskoalition.

Die Gorleben-Lüge

Dass Umweltminister Röttgen (CDU) den Salzstock Gorleben wieder für die Erkundung als atomares Endlager freigegeben hat, hat ebenfalls Massen auf die Straße gebracht. Denn der Salzstock ist für diesen Zweck nicht geeignet. Um die vermeintliche Eignung Gorlebens als Endlager dennoch erkunden zu können, sind unter der Regierung von Helmut Kohl Gutachten manipuliert und die Öffentlichkeit systematisch belogen worden. Greenpeace hatte in den letzten Wochen 12000 Seiten Akten zur Gorleben-Erkundung studiert und stellt diese nach und nach ins Internet. Damit ist die schwarz-gelbe Gorleben-Lüge auch für große Teile der Öffentlichkeit sichtbar geworden.

Es ist kein Wunder, dass Schwarz-Gelb gegen jede wissenschaftliche Vernunft an dem Salzstock festhält. Denn ohne ein so genanntes Endlager für Atommüll können die Laufzeiten fürs AKWs kaum verlängert werden, ohne die Betreiber in arge Bedrängnis zu bringen. Der Platz auf den provisorischen Zwischenlagern für radioaktiven Müll ist begrenzt. Es wird eng für die Kraftwerksbetreiber.

Gründe für den Protest-Erfolg

Vom Erfolg des Protestes sind die Organisatorinnen und Organisatoren selbst überrascht. Doch es ist kein Zufall, dass so viele am Samstag auf die Straße gegangen sind. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst die "Störfälle" in Kernkraftwerken wie Krümmel und Brunsbüttel und die Debatte über absaufende Atommülllager wie Asse, die weite Teile der Öffentlichkeit aufgerüttelt haben. Beides hat die Ablehnung schwarz-gelber Energiepolitik angefacht.

Doch das allein war keine Garant für eine so hohe Beteiligung. Beim letzten Höhepunkt der Anti-AKW-Bewegung kurz vor der Bundestagswahl im letzten Jahr demonstrierten 50.000. Am Samstag waren es dreimal so viele.

Wesentlich für den Erfolg waren zwei kluge strategische Entscheidungen der Anti-Atom-Bewegung. Zunächst hat sie gesteigerten Wert auf die gesellschaftliche Breite des Demonstrationsbündnisses gelegt: Jochen Stay von .augestrahlt erklärte: "Es ist ein Zusammenschluss, in dem die einen wollen, dass die Atomkraftwerke sofort stillgelegt werden und die anderen zugeben, dass der Atomkonsens zwar nicht das Beste gewesen sei, aber doch immerhin ein Ausstiegskonzept, und die erklären, jetzt gehe es darum, Laufzeitverlängerungen zu verhindern."

Darüber hinaus konzentriert sich die Anti-Atombewegung vor allem auf Gorleben und in die Kritik geratene "Pannen-Meiler" wie Krümmel, Brunsbüttel oder Biblis. Minimalkonsens der Bewegung ist, Gorleben als Endlager zu verhindern und zumindest die "Pannenmeiler" sofort abzuschalten. Schließlich müssten diese sowieso oft und lange abgeschaltet werden - und trotzdem gebe es keine Lücke in der Stromversorgung.

Das Umgehen mit SPD und Grünen

Es hat im Vorfeld der Proteste intensive Debatten darüber gegeben, ob man SPD und Grüne in die Mobilisierung einbeziehen soll. Schließlich ist es die wachsweiche Atompolitik von Rot-Grün gewesen, die den schwarz-gelben Ausstieg aus dem Atomausstieg enorm erleichtert hat.

Auch die Skepsis, dass die Parteiführungen von SPD und Grünen vor allem aus wahltaktischen Gründen kurz vor der wichtigen Landtagswahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen mobilisieren, ist berechtigt. Doch hat die Teilnahme der beiden Parteien es ermöglicht, die Zahl der Demonstrationsteilnehmer nicht nur zu erhöhen. Sie hat auch die Möglichkeit eröffnet, mit Anhängern und Mitgliedern beider Parteien darüber zu diskutieren, warum der rot-grüne Atomkonsens ineffektiv war und dass vor allem massenhafter Druck von unten nötig ist, um den Energiekonzernen und ihren politischen Freunden Feuer unter dem Hintern zu machen. Parlamentarische Politik allein kann das nicht bewirken.

Die Macht der Energiekonzerne brechen

Ein Umstieg auf erneuerbare Energien und eine saubere und billige Energieversorgung wird nur möglich sein, wenn die Macht der vier den deutschen Strommarkt beherrschenden Energiekonzerne gebrochen wird.

Wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird in der Anti-Atombewegung, aber auch in den Bewegungen für Klimaschutz, bereits diskutiert. Die einen, darunter die Parteiführungen von SPD und Grünen, setzen auf einen "grünen" Kapitalismus, also die Förderung erneuerbarer Energieunternehmen. Diese sollen den fossilen und atomaren Energiekonzernen Stück für Stück Marktanteile abjagen.

Doch diese Theorie hat einen Haken: Sie funktioniert in der Praxis nicht. Global sind 13 Billionen US-Dollar an Investitionen direkt an die ölfördernde Industrie gebunden. Auch die Auto-, LKW- und Flugzeughersteller samt Zulieferer, der Straßenbau, Transportfirmen, Zulieferer für Öl-, Kohle- und Gasunternehmen, die Petrochemie, Künstdünger- und Stahlproduzenten und andere sind an das herrschende fossile Wirtschaften gebunden.

Mehr noch: Neun der zehn größten Konzerne der Welt, mit einem Umsatz von hunderten Milliarden US-Dollar, machen ihren Profit im fossilen Sektor. Durch die Adern des Kapitalismus fließt schwarzes Blut: Öl.

Und auch die Atomindustrie wird staatlicherseits in unterschiedlicher Form massiv unterstützt, nicht nur in Deutschland. Oft machen Energiekonzerne sowohl mit Atom als auch mit Kohle ihre Profite. Das gilt für alle vier großen Energiekonzerne in Deutschland.

"Grüner" Kapitalismus?

Diesem fossilen »schwarzen Block« der Konzerne gegenüber sind erneuerbare Energien trotz gestiegener Umsätze im Nachteil. Denn über die globalen Märkte fließt massiv Kapital zu den Konzernen, die mit Öl, Kohle und Gas Geschäfte machen. Mit fossilen Energien lassen sich höhere Gewinne erzielen. Wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Energie wachsen die Profite dieser Konzerne - und damit ihre Macht.

Hinzu kommt die über die letzten 100 Jahre gewachsene enge Vernetzung zwischen Politik und fossiler Wirtschaft. Letztere hat in diesem Zeitraum eine Machtposition gewonnen, die man nicht mit den Mitteln der Konkurrenz auf den Märkten aushebeln kann. Denn die Märkte sind das Spielfeld der fossilen "global players".

Zwar ist der Hinweis richtig, dass sich auch mit grüner Energie Gewinne machen lassen und Erneuerbare-Energien-Unternehmen sich am Markt etabliert haben. Aber die Bilanz ist keineswegs so rosig, wie es die Vielzahl an Nachrichten über das Wachstum von Windkraft und Co. nahe legen. In Spanien zum Beispiel ist der "Solarmarkt nach der Deckelung der Förderung fast komplett zusammengebrochen", berichtete das photovoltaik-Magazin. Die Prognosen für die deutsche Branche für 2010 seien "eher vage".

Das Handelsblatt schrieb bereits im Frühjahr 2009: "Doch der Preisrutsch für Solarzellen und Überkapazitäten in der Produktion machen der einstigen Boombranche zu schaffen." Eigentlich sollten sinkende Preise für Solarzellen und "Überkapazitäten" doch eine gute Nachricht sein: Mehr billige und saubere Energie könnte produziert werden. Doch Solarunternehmer zucken dabei zusammen, statt sich zu freuen: Sinkende Preise bei hohem Konkurrenzdruck, gefährdet das ihre Profite - und damit ihr Unternehmen. Auch für "grünes Kapital" gelten die Spielregeln der Marktwirtschaft. Umweltschutz UND Profite - das funktioniert nicht.

Globale Stromproduktion

Wie sieht das gesamte Bild für erneuerbare Energien aus? Trotz des großen Potentials leider nicht gut. Seit dem Jahr 1990 ist die Produktion erneuerbarer Energien jährlich nur mit einer durchschnittlichen Rate von 1,8 Prozent gewachsen - und entspricht damit der Wachstumsrate der weltweiten Primärenergieversorgung. Das heißt: Es kann keine Rede davon sein, dass erneuerbare Energien den fossilen den Rang streitig machen.

Schlechter noch sieht es bei der Elektrizität aus: Zwischen 1990 und 2005 ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien global um durchschnittlich 2,4 Prozent jährlich gewachsen. Das ist zu wenig. Denn damit liegt sie unter der Wachstumsrate der Elektrizitätserzeugung insgesamt, die in dem Zeitraum bei 2,9 Prozent lag.

In anderen Worten: Der Gesamtanteil erneuerbarer Energien an der globalen Stromproduktion ist zwischen 1990 und 2005 gesunken - von 19,5 Prozent auf 17,9 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass Strom eine herausragende Bedeutung für alle Bereiche kapitalistischer Wirtschaft hat - und diese Bedeutung gestiegen ist - müssten die oben genannten Zahlen Vertreter eines »grünen Kapitalismus« eigentlich sehr nachdenklich stimmen.

Antikapitalismus

Ein anderer Teil der Umweltbewegungen findet die Vorstellung falsch (oder ist zumindest skeptisch), dass es einen Öko-Kapitalismus geben kann. Denn durch den kapitalistischen Zwang, Profite zu machen, kommen regelmäßig Umwelt- und Klimaschutz unter die Räder. Trotz Kyoto-Protokoll und Emissionshandel steigt der Treibhausgasausstoß schneller als jemals zuvor.

Daran ändert auch Atomenergie nichts, denn erstens ist deren Anteil an der globalen Stromproduktion viel zu gering, zweitens reichen die Uranressourcen auch nicht länger als das zur Neige gehende Öl und drittens blockiert Atomenergie den Ausbau erneuerbarer Energien.

Kapitalismus bedeutet Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Soziale Standards, Arbeitsschutz, Löhne und eben die Umwelt haben in diesem Gesellschaftssystem nicht die höchste Priorität. In Krisen werden einmal errungene Verbesserungen von Unternehmern in Frage gestellt. Seit der Finanzkrise sind die Stimmen aus Unternehmerkreisen lauter geworden, die sagen: Umweltschutz ist zu teuer.

Wie weiter für die Anti-Atom-Bewegung?

Für die Anti-Atom-Bewegung wie für andere Umweltbewegungen ist Erfolg immer auch eine politische Herausforderung in zweierlei Hinsicht. Inhaltlich stellt sich die Frage: Welchen Weg soll man einschlagen? Setzt man auf "grünen Kapitalismus" oder fordert man das Privateigentum an der Energieversorgung heraus und stellt den Kapitalismus in Frage? Die Antwort auf diese Frage ist nicht abstrakt, sondern hat konkrete Auswirkungen in der Praxis: auf die Forderungen der Bewegungen einerseits wie auf die konkrete Art und Weise der Proteste.

Sich für einen antikapitalistischen Weg zu entscheiden heißt dabei nicht, dass die Proteste kleiner werden. Jede und jeder, der gegen Atomkraft ist, soll sich beteiligen können. Die Mobilisierungsbündnisse müssen breit bleiben. Doch die Debatten über die Umweltschädlichkeit des Kapitalismus und Alternativen zu diesem krisenhaften Gesellschaftssystem müssen geführt werden.

Was die weitere Mobilisierung betrifft, geht es darum, den Druck von unten aufrecht zu erhalten. Jochen Stay, ein Sprecher des Trägerkreises der Anti-Atom-Menschenkette, brachte das kurz nach den Protesten auf den Punkt: "Die Bundesregierung muss aus dem gestrigen Tag Konsequenzen ziehen. Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke ist politisch nicht durchsetzbar. Sollte die schwarz-gelbe Koalition an ihrem Atomkurs festhalten, werden die Proteste sich weiter steigern. Da ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Denn wir sind nach diesem Tag gestärkt und hochmotiviert."

In den nächsten Monaten wird es weitere Anti-Atom-Aktionen im ganzen Bundesgebiet geben. Für den 2. Oktober ist eine weitere bundesweite Großaktion  geplant. "Und auch beim Castor-Transport nach Gorleben im November rechnen wir mit weiter wachsenden Protesten", so Jochen Stay.

(Den Artikel hat Pickelhering für marx21.de verfasst)

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